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Mit nuancenreichem Klangbild überzeugt

Brahms' Requiem erklingt in Jesus-Christus-Kirche Ñ Lichtinstallationen verstärken Wirkung

Von Jutta Albers
(Text und Foto)
Sennestadt (WB). Musik mit Augen und Ohren erleben konnten die Zuhörer am Sonntag in der vollbesetzten Jesus-Christus-Kirche, wo die Aufführung von BrahmsÕ Requiem kombiniert wurde mit Lichtinstallationen. Zu jedem der sieben Sätze des Werks hat die in Halle lebende Karin Franitza-Oberschelp ausdrucksvolle Skulpturen und Reliefs geschaffen und damit die Musik und ihre Aussage bildnerisch umgesetzt. Die Originale sind noch bis 20. November im Sennestadthaus ausgestellt.

Sie wurden, auf großdimensionale Fotofahnen übertragen und angestrahlt, zum visuellen Kontrapunkt einer hervorragenden, bewegenden Aufführung unter Leitung von Dorothea Schenk. Garanten dafür waren die bestens vorbereitete Evangelische Kantorei (ein intensives Chorwochenende hat Früchte getragen), die Kammerphilharmonie Hannover (Mitglieder der NDR Radiophilarmonie) und mit Sabine Ritterbusch und Felix Yorck Speer zwei excellente Vokalsolisten.
»Ein deutsches Requiem« von Johannes Brahms, die Trost-und Trauermusik von epocheübergreifender Gültigkeit, ist weder konfessionell noch liturgisch gebunden. Brahms stellte die Texte aus dem Alten und Neuen Testament sowie den Apokryphen selbst zusammen. »Ich habe meine Trauermusik vollendet als Seligpreisung an die Leidtragenden. Ich habe nun Trost gefunden, wie ich ihn gesetzt habe als ein Zeichen an die Klagenden« schreibt er in einem Brief.
Trauer und Freude, Schmerz und Trost, Sterben und Leben finden ihren musikalisch expressiven Ausdruck. Der Komponist begann bereits als 24-Jähriger 1857 mit der Niederschrift dieser Trauermusik, vielleicht unter dem Eindruck des Todes seines väterlichen Freundes Robert Schumann, erweiterte sie 1865 nach dem Tod der Mutter. Clara Schumann war dabei, als das Requiem 1868 in Bremen uraufgeführt wurde.
Wenige Monate später wurde die endgültige Fassung mit dem hinzugefügten Sopransolo-Chorsatz »Ihr habt nun Traurigkeit« im Leipziger Gewandhaus aus der Taufe gehoben. Die zutiefst romantische Musik umspannt in der Aufarbeitung des Todes-Themas eine große Gefühlsskala. Der in warm kolorierte Instrumentalfarben gebettete, abgeklärte erste Satz »Selig sind,die da Leid tragen«, der im Schlusssatz sein Pendant hat, erklang piano mit behutsamer Steigerung in expressiver Dichte.
Im unerbittlichen Rhythmus eines Trauermarsches im düsteren b-moll erklang der zweite Satz mit der Botschaft des Propheten Jesaja »Denn alles Fleisch es ist wie Gras«, bis der Chor die Freuden der Ewigkeit verkündet in einem modulationsreichen fugierten Satz, der für Laienchöre eine echte Herausforderung ist und von der fast 70-köpfigen Kantorei mit Bravour gemeistert wurde.
Mit leiser Zartheit setzt der vierte Satz »Wie lieblich sind deine Wohnungen« ein mit ganz durchsichtig angesetzten Fugati. Welch ein Kontrast zum dramatischen sechsten Satz (man nennt ihn auch das »Dies irae des deutschen Requiems« ) mit den riesigen Fortissimo-Steigerungen, gipfelnd in der triumphalen Frage »Tod,wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?«, die plastisch akzentuiert und unter die Haut gehend gestellt wurde.
Ein Gewinn waren die beiden Vokalsolisten: Vorab genannt sei Sabine Ritterbusch, die mit ihrer beseelten kultivierten Stimme in einer innigen Kantilene »Ihr habt nun Traurigkeit« auch in extremen Höhen den Chor überstrahlte und der Bariton Yorck Felix Speer, ausgestattet mit einer warmen, weich timbrierten Stimme, die Todesangst im Dialog mit dem Chor eher liedhaft lyrisch denn dramatisch artikulierte. Ein Dank an Dorothea Schenk, die die Aufführung souverän leitete und es verstand, die breite Palette der musikalischen Ausdrucksskala in einer gültigen Interpretation zu bündeln. So überzeugte die spürbar motivierte Kantorei neben Intonationsreinheit und präziser Artikulation mit einem nuancenreichen Klangbild, Gestaltungskraft und dynamischer Bandbreite.
Ein Sonderlob verdienen die ausgezeichneten Instrumentalisten der Kammersymphonie Hannover als lebendig und sensibel mitgestaltende Orchesterpartner. Nach dem tröstlichen Epilog »Selig sind die Toten« herrschte ergriffenes Schweigen, bevor langanhaltender Beifall eine großartige Leistung belohnte.

Artikel vom 17.11.2004