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»Beitritt der Türkei zur
EU nicht überstürzen«

Elmar Brok zu Gast am Rudolf-Rempel-Berufskolleg

Von Ulrich Hohenhoff
Brackwede (ho). Die als »pädagogisches Highlight« angekündigte Befragung des Europa-Abgeordneten Elmar Brok (CDU) zum Thema Türkei-Beitritt geriet in der Tat zu einem Höhepunkt, schon weil die Schülerinnen und Schüler des Rudolf-Rempel-Berufskollegs (RRB) den vollen Terminkalender des Politikers zu spüren bekamen. Der verspätete sich, aus Brüssel anreisend, um mehr als eineinhalb Stunden, hatte dann auch nur begrenzt Zeit.

Dabei hatten sich die 75 SchülerInnen der European Business Class und der Europa-Klassen der Höheren Handelsschule in einem dreitägigen Unterrichtsprojekt unter Leitung von Josef Osterholz, Koordinator für Europaprojekte am RRB, intensiv auf das Thema »Europäische Union und der Beitrittskandidat Türkei« vorbereitet. Eine klare Antwort, ob er denn persönlich für oder gegen einen Beitritt der Türkei sei, blieb Brok schuldig.
Nur so viel: »Auf schwierige Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich nein sagen, weil es einfach nicht nicht geht, das sagt selbst die Türkei, deren schneller Beitritt wirtschaftlich katastrophale Folgen hätte«. Prinzipiell habe er nichts gegen eine türkische Mitgliedschaft. »Zuvor sind aber noch eine Menge Fragen zu klären, muss sich noch vieles ändern. Das ist ein langfristiger Prozess, der nur mit Hilfe Europas gelingen kann«.
Brok warnte ausdrücklich vor einer »Überstürztheit«, die sowohl den Beitrittskandidaten als auch die Europäische Union überfordere. Zudem müsse man sich davor hüten, »eine Politik zu betreiben, an deren Ende eine Enttäuschung liegt«, spielte damit auf das vorgesehene Zeitfenster des Auswärtigen Ausschusses an, der darüber entscheide, ob Beitrittverhandlungen aufgenommen werden sollten. Strategisches Ziel müsse es sein, die Türkei fest in Europa zu verankern, Reformprozesse dort zu unterstützen.
Zwar sei schon vieles, auch im gesetzgeberischen Bereich, erreicht, »doch in weiten Teilen des Landes fehlt es noch an der Umsetzung«. Vor allem zum Thema Grund- und Menschenrechte gebe es Handlungsbedarf. »Die europäische Union ist mehr als ein Wirtschaftszusammenschluss, die Verfassung mit Menschenrechtscharta steht für gemeinsame Werte und Ziele.« Einer der Kernpunkte Europas sei die Freizügigkeit und »es wäre wohl einmalig, wenn man die permanent einschränken will«.
Auch vor einer finanziellen Überforderung der EU warnte Elmar Brok. 24 Milliarden Euro jährlich würde der Türkeibeitritt kosten, wenn es nicht gelinge, die Finanzen zuvor zu ordnen. Mit fünf bis sechs Milliarden bedeute das für Deutschland eine Verdoppelung dessen, was jetzt für die EU aufgebracht werde. Europa dürfe sich nicht überheben, sollte die Hoffnungen in der Türkei nicht zu hoch schrauben. »Verhandlungen müssen nicht zwangsläufig mit einem Beitritt enden, deshalb müssen unsere Entscheidungen durch faires Verhalten gekennzeichnet sein«.
Vor Eintreffen des MdEP hatten die Schüler schon mal unterschiedliche Sichtweisen diskutiert. Einige befürchteten einen Konflikt zwischen christlichem Abendland und muslimischem Morgenland, hatten Angst vor einem Wohlstandsverlust oder sahen veränderte Machtverhältnisse zu Lasten anderer europäischer Länder, mahnten aber auch an, »dass die EU die Regeln bestimmt und die Türkei sich anpassen muss«.
Viele Fragen blieben offen, konnten nicht ausdiskutiert werden. In einer »Probeabstimmung« sprach sich allerdings eine deutliche Mehrheit der jungen Leute gegen einen Türkeibeitritt aus.

Artikel vom 12.11.2004