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Menschen in
unserer Stadt
Karin Eißmann
Einzelhandelskauffrau

»Ich hab das gar nicht ernstgenommen.« Als am Donnerstag im Fernsehen einer was von »Maueröffnung« murmelte, schaltete Karin Eißmann im thüringischen Rudolstadt das Gerät aus, ging zu Bett und am Freitag ganz normal arbeiten. Dann rief ihre Mutter an: »Kind, warum bist du noch nicht drüben?« So kam es, dass sie schließlich doch noch in den Westen fuhr - am Samstag, nach zwei Tagen des Unglaubens.
Das war im bewegten November 1989, und heute ist Karin Eißmann längst im größeren Deutschland angekommen. Zu DDR-Zeiten hatte sie Teilkonstrukteur-Maschinenbau studiert, »aber ich wollte nicht ewig im Büro am Reißbrett stehen.« Wenige Monate nach der Wende ging sie in den Schuhhandel, »weil ich den Kontakt mit anderen Menschen suchte.« Halle, Nürnberg, Jena, seit zwei Jahren Bielefeld - der Berufsweg der neugierigen, agilen 43-Jährigen verläuft durch die endlich grenzenlose Republik.
Jetzt führt Karin Eißmann 41 Mitarbeiter im Schuhfachgeschäft Zumnorde an der Bahnhofstraße. Den Kunden schenkt sie ihr schönstes Lächeln, was ihr inmitten des Sortiments zwischen Vielfalt und Qualität naturgemäß leicht fällt. »Wer hier nichts findet, der wollte nichts«, versichert sie, aber die - ziemlich junge - Kundschaft wird unter ihrer fachkundigen Anleitung in der Regel fündig. Frische Farben, andere Formen, alles geht. Logisch: »Wir haben eben Schuhe zum Hingucken!«
Mit ihrem Lebensgefährten - gleiche Branche, gleiche Funktion, gleicher Arbeitgeber, andere Filiale - saust Karin Eißmann liebend gerne verschneite Hänge hinunter: »Meine Leidenschaft gehört dem Wintersport.« Aber mal muss auch Zeit für ein gutes Buch sein, am liebsten etwas Modernes mit einem Kick ins Satirische. Wie die »Sonnenallee«? »Oh, die hab ich noch nicht gelesen . . .« Na, dann wird's aber Zeit für Thomas Brussigs Ost-West-Liebeserklärung.
Der Rat des »Wendekindes« an die Ossis: »Nicht jammern - Ärmel hochkrempeln. Gemeinsam haben wir doch schon viel erreicht.« Ihr Rat an die Wessis: »Hinfahren und sich den Osten angucken. Erfurt zum Beispiel, denn schon die Reise dorthin durch die Ausläufer des Thüringer Waldes ist wunderschön.« Matthias Meyer zur Heyde

Artikel vom 11.11.2004