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Gewalt schockt Niederlande

Handgranate verletzt Polizisten - Feuer an Kirchen und Moscheen

Von Reinhard Brockmann
Den Haag (WB). Ein blutiger Anti-Terroreinsatz gegen mutmaßliche Islamisten und Übergriffe auf Kirchen und Moscheen haben die Niederlande erschüttert. »Das Land pendelt zwischen Panik und Ratlosigkeit«, sagte der holländische Film- und Buchautor Menno de Galan dem WESTFALEN-BLATT.

Beim Einsatz von Spezialkräften gegen Islamisten in Den Haag wurde eine Handgranate geschleudert. Drei Beamte zogen sich Verletzungen zu. Der Luftraum wurde gesperrt, ein massives Polizeiaufgebot in Marsch gesetzt.
Ministerpräsident Jan Peter Balkenende rief seine Landsleute nachdrücklich auf, sich nicht in einen Strudel der Gewalt ziehen zu lassen. Die EU-Kommission warnte davor, dass sich fremdenfeindliche Gewalttaten auch in anderen europäischen Ländern ereignen könnten.
Die gescheiterte Festnahme im Laak-Viertel stand offenbar im Zusammenhang mit der Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh. Dieser war am Dienstag vergangener Woche auf offener Straße erschossen worden. Als Tatverdächtiger gilt ein mutmaßlicher Moslem-Extremist.
Nach 14-Stunden Nervenkrieg beendete die Polizei ihre Aktion, ohne weitere Details über mögliche Verhandlungen zu nennen. Einer der Verdächtigen war an der Schulter verletzt worden. Wenige Stunden zuvor hatten Sicherheitskräfte im Raum Utrecht einen weiteren Verdächtigen festgenommen.
Seit dem Tod van Goghs hat es mehrere Anschläge auf moslemische und christliche Einrichtungen in den Niederlanden gegeben. In der Ortschaft Uden wurde zuletzt eine islamische Grundschule niedergebrannt. Auf die Wände der Ruine schrieben die unerkannt entkommenen Täter »theo, ruhe in Frieden«. In Heerenveen im Norden der Niederlande wurde ein Brand in einer Moschee schnell gelöscht. Das gelang auch in einer Kirche in Boxmeer unweit der deutschen Grenze bei Goch. Bereits an den Vortagen hatte es Anschläge mit Molotow-Cocktails auf Moscheen, Koranschulen und protestantische Kirchen gegeben.
Die EU-Kommission will jetzt eine Äußerung des niederländischen Binnenmarktkommissars Frits Bolkestein am Sonntag im niederländischen Fernsehen prüfen. Darin soll der Liberale den marokkanischen König Mohammed VI aufgerufen haben, seine früheren Landsleute in den Niederlanden zur Ordnung zu rufen.
Er solle deutlich machen, dass sein Land kein »Exporteur von Mördern« sein wolle. Bolkestein bezog sich damit auf den mutmaßlichen Mörder Van Goghs, der sowohl die niederländische wie die marokkanische Staatsbürgerschaft besitzt. Das Attentat sei der Beginn einer Einschüchterung, soll Bolkestein gesagt haben. Er habe dies mit einem verringerten Gefühl von Freiheit während der deutschen Besetzung der Niederlande im Zweiten Weltkrieg verglichen. Themen der Zeit:Leitartikel und Hintergründe

Artikel vom 11.11.2004