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Justiz wollte
Amokfahrer
nicht stoppen

Täter fiel schon vor Monaten auf

Von Jens Heinze, Gerhard Hülsegge
und Hans-Werner Büscher (Fotos)
Bielefeld (WB). Fatih C. (31) - der Amokfahrer, der vor dem St. Thomas-Morus-Kindergarten an der Rheinallee in Sennestadt seine Ex-Frau Nevim (34), die Tochter Melisa (5) und ihren Begleiter Hasan O. (38) mit dem Auto töten wollte - ist Polizei und Staatsanwaltschaft schon seit Monaten als äußerst gewalttätig bekannt.

Die Amokfahrt vom Donnerstag hätte verhindert werden können, doch eine Amtsrichterin wollte bei einer Vorführung des Türken, die schon Mitte Oktober stattfand, keinen Haftbefehl erlassen.
Der Gelegenheitsarbeiter hat im Scheidungsdrama die ehemalige Ehefrau und dreifache Mutter Nevim C. mit dem Tode bedroht, der 34-Jährigen eine Pistole an den Kopf gehalten, sie als Geisel genommen, zusammengeschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Diese aktenkundigen Vorfälle von März, August und Oktober beschäftigten vor drei Wochen bereits die Justiz. Doch eine Haftrichterin des Amtsgerichtes lehnte bei der Vorführung des 31-Jährigen am 14. Oktober den mündlichen Antrag der ermittelnden Staatsanwältin ab, gegen Fatih C. wegen akuter Wiederholungsgefahr Haftbefehl zu erlassen. Der Sprecher der Anklagebehörde, Oberstaatsanwalt Harald Krahmüller, bestätigte am Freitag auf Anfrage entsprechende WESTFALEN-BLATT-Informationen.
Diese Justizpanne wurde erst am gestrigen Freitag behoben. Einen Tag, nachdem der Sennestädter Fatih C. zweimal vergeblich versucht hatte, vor dem Kindergarten an der Rheinallee mit seinem weißen VW Passat Frau, Tochter und Begleiter zu überfahren und schließlich bei laufendem Betrieb im Kindergarten in die Tür des Hauses krachte, erließ Richter Hermann Richtersmeier Haftbefehl wegen versuchten Totschlags gegen den Metallbauer. Und: Der 31-Jährige soll am Donnerstag auch seine Pistole dabei gehabt haben. Die Waffe wurde trotz intensiver Suche der Polizei bislang nicht gefunden.
Mit ihr hatte er seine am 26. Oktober nach 14 Jahren geschiedenen Ehefrau bereits mehrfach bedroht. »Ich habe nur an meine Kinder gedacht«, sagte die noch sichtlich unter Schock stehende Nevim C. am Freitagabend dem WB. Und sie war froh, bei dem Anschlag auf ihr Leben wenige Tage vor ihrem 35. Geburtstag an diesem Sonntag in Begleitung des langjährigen Freundes der Familie, der mit einer Deutschen verheiratet ist, gewesen zu sein. Hasan O. wurde, wie berichtet, vom Amokfahrer angefahren und am Fuß und an der Schulter verletzt.
Das Tatmotiv scheint für ihn sicher: »Fatih hat Angst, allein zu sein.« Nachbarn schildern ihn als aggressiv. Der Kindergarten St. Thomas Morus, gegen dessen Eingangstür der Amokfahrer fuhr, will sich »Hilfe von außen« besorgen, um das Erlebte mit den Kindern aufzuarbeiten, versichert Leiterin Manuela Spirgatis.

Artikel vom 06.11.2004