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Bernd Wildens`
großartiger
Nosferatu-Wurf

Auftakt zum Stummfilm-Festival

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Stummfilm ohne Musik - das wäre etwa so wie Winter ohne Schnee oder Party ohne Gäste. Da die Originalmusik zu Murnaus Gruselfilm »Nosferatu« verloren ging, beauftragte die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Gesellschaft den Bielefelder Komponisten und Dirigenten Bernd Wilden, eine neue Musik zu schreiben. Eine gute Wahl, wie die Uraufführung im Rahmen der Eröffnung des 15. Film&Musik-Festes im voll besetzten Oetkerhallen-Kino bewies.

Nach mehreren kleiner dimensionierten Filmmusiken, nach Kindermusicals und abendfüllender Ballettmusik fürs Kieler Theater hat Wilden der »Symphonie des Grauens«, so der Filmuntertitel, ein schaurig-schönes, schattenhaftes Klangkorsett auf den Leib der bewegten Bilder komponiert. Mit sensiblem Gespür für untergründige Schauerszenarien, für emotionale Vertiefung, gekonnte Übergänge, Illustrierung und psychologische Ausdeutung reiht sich Wilden in die Riege namhafter Filmmusikkomponisten ein. Freilich greift der Bielefelder atmosphärische Stimmung und Details des Bildverlaufs auf, gleichwohl besitzt diese zarte, subtile Klangkulisse musikalisch autonome Momente oder doch zumindest Elemente, die in Richtung Programmmusik weisen.
Leitmotive wie die wehmütige Oboenkantilene (für Abschied und Trennung der Liebenden) und das in verminderten Intervallen auf- und abspringende Thema des herannahenden Grauens schaffen Gedankenverbindungen und Suggestionskraft, die weit über das Visuelle hinausweisen. So wie Murnaus Dracula-Verfilmung auf die Darstellung vampirischer Gier verzichtet und dafür eher mit den Ängsten des Unterbewusstseins spielt, verzichtet Wilden weitgehend auf knallige Horroreffekte. Die große Orchesterbesetzung braucht er dennoch, um im zarten, dicht gewebten Pianissimo Glissando-Schauer über die Rücken der Hörer zu schicken. Neben Subtilem steht Plakatives wie das fröhliche Flötengezwitscher am Morgen sowie Waldhörner und Schellen, die den unbekümmerten Aufbruch Hutters ins Land der Werwölfe andeuten. Nicht zuletzt arbeitet Wilden mit Zitaten aus der Musikgeschichte. Wer hat nicht alles schon auf die »Dies irae-Sequenz« zurückgegriffen, um dem Tod ein Ständchen zu singen?
Wilden mischt all diese Elemente gekonnt zu einer eigenständigen, wunderbar zarten Filmmusik, und das Philharmonische Orchester Hagen förderte all dies im konzentrierten, differenzierten Spiel klangschön-schaurig zu Gehör. - Ein neuerlicher Beweis für die bemerkenswerten kompositorischen Fähigkeiten Bernd Wildens und ein großartiger Auftakt für das Murnau-Festival, das noch bis kommenden Sonntag »Wahnsinns«-Stummfilme zu Livemusik präsentiert.

Artikel vom 08.11.2004