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Von jeder Zutat nur
die besten Stücke

Georg Gusia brillierte an der St. Jodokus-Orgel


Von Sebastian Pape
Bielefeld (WB). Wenn die Konzerttage in den Bielefelder Innenstadtkirchen laufen, dann gehört, logisch zwingend wie das sprichwörtliche Amen in der Kirche, die Königin der Instrumente unbedingt dazu. So auch am Mittwochabend in St. Jodokus, wo sich eine beachtliche Zuhörergemeinde versammelt hatte, um Regionalkantor Georg Gusia bei einer regelrechten Leistungsschau zu belauschen - verträumte, verspielte und monumental-berückende Klangschauer inbegriffen.
Gefordert war nicht nur künstlerische Höchsleistung vom Interpreten, vielmehr wollte der Hörgenuss aus vier Jahrhunderten deutscher Orgelmusik auch auf Zuhörerseite erst einmal gründlich verdaut werden. Der Programmzettel las sich wie die Empfehlung eines Spitzenkochs: Kaufen Sie von jeder Zutat nur die besten Stücke! So fanden sich denn eine Mendelssohn-Sonate, eine Bachsche Triosonate und das bei Max Reger in Auftrag gegebene Mammutwerk zur Breslauer Jahrhunderthallen-Einweihung in der Notentasche wieder.
Durch tadellose Spiel- und Registrierkunst gelang es Georg Gusia, seinem Auditorium bekömmliche Appetithappen zu kredenzen, bis auf den »Nachtisch«, der mal wieder mit viel zu vielen »Kalorien« zu Buche schlug. Ganz sacht setzte mit dem Choral »Vater unser im Himmelreich« die d-Moll-Sonate op. 65,6 von Mendelssohn ein: Warme Grundstimmen zu Beginn und nur zögerlich aufhellender Farbauftrag tauchten die Variationenfolge in träumerisches Dämmerlicht. Die Fuge erschien fein gesponnen wie ein Schleier, und gänzlich entrückt verklang das Finale. Eine weitere Variationenfolge über denselben Choral, diesmal von Samuel Scheidt, schloss sich an: reich figuriert, mit schwungvollem Laufwerk zu Soloregistrierungen, die sich stilecht nach ganz, ganz alter Musik anhörten. Dann ein Jahrhundertsprung von Halle nach Leipzig zu J. S. Bach. Der Titel »Vivace« des ersten Satzes der c-Moll Triosonate BWV 526 war Satzbezeichnung und sinnstiftendes Motto zugleich: Quicklebendig und spielfreudig kam der Dreisätzer daher, mit viel konzertantem Eifer nach italienischem Gusto ausgekostet. Lediglich im Largo-Teil ließ die leicht »verschnupfte« Solo-Zunge unbotmäßige Unruhe aufkommen.
Regers Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127 bestach sowohl durch markerschütternde als auch lyrische Dynamik (unter anderem doppelte Echos im schnellen Wechsel der drei Manuale ausgeführt), aber auch durch pointierte Artikulation, etwa im Fugenthema. Hin- und hergeworfen zwischen dem Gefühl, der unergründlichen Harmonik wie bei schwerem Seegang ausgeliefert zu sein, und dem sehnsuchtsvollen Erhaschen einer der endlos hinausgezögerten Dominant-Auflösungen fand das Orgelkonzert letztlich zu tröstlichem Dur. Wunderbar!

Artikel vom 06.11.2004