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Es menschelt
im »Walhall
der Nichtse«

Beaugrand präsentiert Lutz Friedel

Bielefeld (uj). »Kunst entsteht immer wieder aus Kunst« -Ê hat Lutz Friedel einmal in einem Interview gesagt. Wohl kaum ein Künstler begreift sich selbst und seine Kunst so radikal als Teil der Kunst- und Kulturgeschichte, wie der Berliner Maler und Bildhauer Lutz Friedel (56) das tut. Eine Ausstellung bei »Beaugrand Kulturkonzepte« legt davon ein sinnlich erfahrbares Zeugnis ab.

Nichts als Köpfe. Im Galerieraum scheinen sie wie die Pilze aus dem Boden geschossen zu sein. Auf Augenhöhe mit dem Betrachter haben die »Ketzer« Aufstellung genommen. Die meterhohen Holzskulpturen mit Spitzhut sind Teil des künstlerischen Großprojekts »Walhall der Nichtse«, mit dem Lutz Friedel in überlebensgroßen Kopfskulpturen dem Niemand ein Denkmal setzt.
Mit der Kettensäge hat der Künstler seine Ketzer aus alten Eichenbalken grob herausgeschnitten und mit Feilen und Schnitzwerkzeug notdürftig nachgearbeitet, ohne die Spuren der Bearbeitung dabei kaschieren zu wollen. Und doch bringt jede Figur erstaunlich individuelle, feinsinnige Charakterzüge und Befindlichkeiten zum Ausdruck. Traurig, bedrohlich, in sich versunken, ratlos schauen sie drein. Eine späte Abrechnung mit den Verfehlungen der Heiligen Inquisition? Schließlich sind es die kirchlichen Würdenträger selbst, die der Künstler in seiner Werkgruppe »Ketzer« dargestellt hat.
»Gewiss haben die Ketzerplastiken einen ästhetischen Reiz: das kleine Gesicht unter der erdrückenden Last des riesigen Hutes. Aber es geht mir auch um das Verhältnis des Geschlagenen zum bevorstehenden Tod: Furcht, Renitenz, Zorn, Angst, Gebrochensein, Sich-Ergeben, Unerschrockenheit -Ê eben alles Menschliche«, sagt Friedel und scheint das Unmenschliche da glatt mit einzuschießen.
Aber ein bisschen von allem, von Leid, Lust und Laster, vom Guten wie Schlechten der Menschheits- und Kulturgeschichte, trägt wohl jeder in sich. Lutz Friedels Selbstporträts -Ê mit Öl übermalte Ausstellungsplakate - implizieren ein Selbstverständnis, wonach sich der Künstler als Teil der gesamten Kulturgeschichte begreift: Selbst als Simplizissimus, Selbst als von Rembrandt gemalt, Selbst als Danton, Selbst als Anarchist, Selbst in der Zwangsjacke, Selbst als Joschka Fischer . . . -Ê»103 Möglichkeiten, die Zeit totzuschlagen - Meine Selbstporträts zwischen 1635 und 2003« lautet der sich wiederum ironisch distanzierende Projekttitel.
Ausgewählte Arbeiten daraus sind ebenso wie die Ketzer noch bis Ende November bei Beaugrand Kulturkonzepte an der Mittelstraße 10 zu sehen. Besichtigung nach telefonischer Absprache unter der Nummer 56 03 29 32.

Artikel vom 06.11.2004