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Streit: Einer gegen alle

Heinrich Schiff und das SWF-Sinfonieorchester


Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Die Blechbläser finden es gar nicht gut, dass das Cello mit einigen Orchestermitgliedern in einen Dialog tritt, und fallen martialisch darüber her. Das wiederum haucht mit einem herzergreifenden Glissando sein Leben aus. Sein Geist indes, lebt weiter, daher streicht's noch ein paar Mal vehement über die Saiten, um zu verdeutlichen, dass die Idee stärker ist als alles Physische.
Wer nun glaubt, es handele sich um die Einführung in ein Kinderkonzert, der irrt. Heinrich Schiff, bekannt als Cellist von Weltformat, führte im zweiten Pro-Musica-Konzert der Saison charmant in Witold Lutoslawskis »Konzert für Violoncello und Orchester« ein, indem er sehr verständlich das musikalische Prinzip des »Concertare«, des miteinander Streitens, erläuterte. Lutoslawski (1913 - 1994) freilich wollte den Begriff nicht im traditionellen Sinne verstanden wissen, sondern übertrug seine aleatorischen Techniken (Prinzip des gelenkten Zufalls) auf die Gegenüberstellung von Individuum (Solist) und Kollektiv (Orchester).
Die Ausführung durch das SWF-Sinfonieorchester und den jungen, aufstrebenden Schiff-Schüler Christian Poltéra bescherte dem Oetkerhallen-Publikum dann ein aufwühlendes Hörerlebnis. Es beginnt mit der »Solokadenz«, einem verstörenden Lamento im Cello, das sich immer trotziger und selbstbewusster Gehör verschafft -Ê technisch virtuos und betörend gefühlvoll im nuancierten Anstrich. Bis das Selbstgespräch durch nur einen energischen Trompetenstoß unterbrochen wird. Mehrfach probierte Dialogkonstellationen bieten spannungsvolle musikalische Momente und herrliche Klangfarbenteppiche. Mit betörendem Vibratospiel geht das Cello noch einmal auf die Suche nach Freunden, doch vergeblich. Ein martialisches, dabei erstaunlich klangscharf-transparentes Orchestertutti -Ê im Übrigen die ideale Klangkulisse für einen Psychothriller - bereitet dem Konflikt ein Ende. Und verdeutlicht einmal mehr, dass progressive Kompositionen durchaus bei einem eher konservativen Konzertpublikum auf offene Ohren stoßen.
Tschaikowskys »Pathétique« fügte sich bestens in den von dunkler Emotion aufgeladenen Abend. Schiff führte hier wunderbar einfühlsam, ließ der Musik viel Zeit zur Entfaltung, gestaltete atemberaubend die Generalpausen und setzte berückend schöne Akzente, die die Stimmung -Ê etwa im Walzer -Ê gekonnt in der Schwebe hielten. Meisterlich!

Artikel vom 04.11.2004