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Ein Lob dem Ehrenamt

Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Bielefeld

Von Edgar Fels
Bielefeld (WB). Alt-Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker hat gestern Abend bei einer Festveranstaltung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwestfalen zu Bielefeld das Ehrenamt gewürdigt. Weizsäcker sprach vor 1800 Gästen über »Bürgerkultur in Staat und Gesellschaft.«

Von Weizsäcker spannte einen Bogen von den Begriffen Markt, Unternehmertum und Ethik bis hin zum »unersetzlichen Ehrenamt.« In seiner gewohnt wortgewandten Analyse der Gesellschaft schreckte er auch nicht vor kritischen Bemerkungen zurück.
Beispiel Mannesmann. Jenes Unternehmen also, mit dem der Bundespräsident der Jahre 1984 bis 1994 ein emotionales Band verbindet, stand er doch dort einst in Lohn und Brot. Ohne den Namen Esser zu erwähnen, sagte von Weizsäcker, es sei Aufgabe eines Vorstandsvorsitzenden, feindliche Übernahmen zu verhindern. »Dafür wird der Manager zu Recht hoch bezahlt.« Die Abwehr der Übernahme sei im konkreten Fall (durch Vodafone) jedoch misslungen. Gleichwohl habe der Vorstandsvorsitzende »als Belohnung das Zehnfache« erhalten, kritisierte von Weizsäcker und erhielt für diese Äußerung zustimmenden Beifall.
Immer wieder warf von Weizsäcker die Frage nach sozialer Gerechtigkeit auf. Er beleuchtete die Rolle des Staates hierzulande, warf einen Blick auf das Verhalten der Menschen, auf ihre Sehnsüchte und Sorgen angesichts eines in vielen Fällen drohenden Arbeitsplatzverlustes. Er verglich die Zustände Kontinentaleuropas mit denen in den USA. Nannte Unterschiede, hob aber auch Gemeinsamkeiten hervor: die »Freiheit des Marktes«. Auch wenn es heute gute Gründe für Fusionen gebe, wenn Kapital und Arbeit dorthin gingen, wo sie am produktivsten sind, für Richard von Weizsäcker ist es wichtig, dass die Ethik im Spannungsfeld zwischen Ideologie und Kapitalismus nicht isoliert betrachtet wird. In diesen Kontext gehört für ihn das Ehrenamt. Weizsäcker abschließend: »Allen Ängsten zum Trotz - es kann keine Rede davon sein, dass der Gemeinsinn abstirbt.«
IHK-Präsident Herbert Sommer nannte von Weizsäcker »eine der wichtigsten Persönlichkeiten bundesdeutscher Politik der letzten Jahrzehnte.« In seiner Zeit als Bundespräsident habe von Weizsäcker, so Sommer, vor allem das Deutschlandbild im Ausland durch bleibende Auftritte und beeindruckende Reden geprägt.
Weizsäcker sei aber auch aufgrund seiner weiteren Erfahrungen als führender Bundespolitiker und als Regierender Bürgermeister von Berlin und beispielsweise auch als Präsident des deutschen evangelischen Kirchentages »wie kein anderer dafür prädestiniert, die Bedeutung des Ehrenamtes zu würdigen und in einen aktuellen gesellschaftspolitischen Zusammenhang zu stellen.«
2800 Frauen und Männer engagieren sich in insgesamt 5000 Funktionen für die Industrie- und Handelskammer. Gestern Abend wurden 160 von ihnen geehrt.

Artikel vom 03.11.2004