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»Das Ungesagte sagt oft mehr«

Schriftstellerin Olga Tokarczuk war beim Oberbürgermeister zu Gast

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). »Ich komme wieder,« versprach die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk gestern, als sie gemeinsam mit Christian Hörnlein, dem Vorsitzenden der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bielefeld, und seiner Vorgängerin Dr. Barbara Diel bei Oberbürgermeister Eberhard David zu Gast war.

Abends las Olga Tokarczuk in der Zentralbibliothek im Rahmen der Literaturtage Fragmente aus ihrem Roman »Taghaus, Nachthaus«. Auf polnisch - mit Übersetzung. Sie meint, es sei nicht wichtig, wer liest, sondern was man liest. Die Autorin versteht Deutsch, betonte aber, sie spreche es nur wenig.
Ein Jahr hat sie in Berlin gelebt, zurzeit hat sie erneut ein Stipendium und verbringt sechs Wochen in Arenshoop an der Ostsee. Dort sei es sehr ruhig, und sie könne gut arbeiten. Arbeit, das ist für sie in erster Linie »Sitzen und Nachdenken - das Aufschreiben kommt danach«. Die 42-Jährige, die im Sommer in einem winzigen Dorf mit nur vier Häusern lebt, im Winter in Breslau, erzählte dem Oberbürgermeister: »Das meiste geschieht in meinem Kopf.« Sie mache sich Notizen, schreibe auch Texte in den Computer, dann sei das Buch aber »im Grunde schon fertig«.
Sie selbst habe immer viel gelesen und schließlich den Wunsch verspürt, auch selbst etwas mit Sprache zu gestalten. Sie verspüre ein großes Interesse an Menschen. Olga Tokarczuk: »Für mich ist jeder Mensch wie ein Buch, ein Wesen, das ich gern beschreiben möchte.« Trotzdem ist sie überzeugt, nicht jede menschliche Regung, jedes Gefühl durch Worte ausdrücken zu wollen: »Das Ungesagte sagt oft mehr.«
Nach »Taghaus, Nachthaus«, das 2002 auf deutsch erschienen ist, kam in Polen im September ein neuer Roman von Olga Tokarczuk auf den Markt. Sie weiß bereits: »Auch er wird ins Deutsche übersetzt.« Inzwischen habe sie ein neues Buch in Angriff genommen.
Wieviele Bücher sie denn pro Jahr schaffe, wollte David von der Psychologin wissen. »Ein halbes«, lautete ihre Antwort. In »Taghaus, Nachthaus« zieht Olga Tokarczuk ihre Leser in den Bann der Ereignisse, lässt Tatsachen und Träume, in ein kollektives Unter- und Überbewußtsein münden.
Die Deutsch-Polnische Gesellschaft und die Europa-Akademie in Bielefelds polnischer Partnerstadt Rzeszow haben es ermöglicht, dass Olga Tokarczuk in Bielefeld Station machte. Die Schriftstellerin kennt Rzeszow gut: »Ich habe dort Freunde an der Universität.«
Essen, Wuppertal und Hamburg sind weitere Stationen ihrer Lesereise. Aus Bielefeld nahm sie ein neues Buch mit - einen Bildband über die Stadt. Oberbürgermeister Eberhard David: »Wenn Sie wiederkommen, dann müssen Sie aber länger bleiben als nur einen Tag.«

Artikel vom 04.11.2004