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Urteilskraft mit offenen Augen

125 Jahre Landgerichtsbezirk Bielefeld - Streifzug durch die Geschichte

Von Bernhard Pierel (Fotos)
und Uwe Koch (Texte)
Bielefeld (WB). Preußische Könige machten keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber über Juristen: »Dumme Teufel« schalt Friedrich Wilhelm I. diese Menschen; »wollene schwarze Mäntel« hätten »Advokati« zu tragen, damit »diese Spitzbuben schon« von weit her zu erkennen seien.

Derlei Dekrete spiegeln denn auch schlaglichtartig politische Versuche bis zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches wider, die Rechtsprechung auch in des preußischen und französischen Prozessrechts zu reformieren. Erst 1879 jedoch traten die Reichsjustizgesetze in Kraft - und heute vor 125 Jahren nahm der Landgerichtsbezirk Bielefeld seine Tätigkeit auf. Residierte das frühere Land- und Stadtgericht Bielefeld bis dato im Rathaus am Alten Markt, so musste für die 1879 neu geschaffene Behörde das Amtsgericht I weichen. Dieser eindrucksvolle Bau mit Mittelrisalit und Werksteingliederung beherbergt heute in klassizistischem Stil das Arbeitsgericht Bielefeld.
Kernstück des heutigen Landgerichts hingegen ist seit dem Neubau von 1914 der stattliche Gebäudekomplex am Niederwall/Ecke Detmolder Straße. Vehement widersprach der unvergessene Stadtheimatpfleger Dr. Karl-Heinz Sundermann der Auffassung, es handele sich um ein Gebäude der Weserrenaissance. Sundermann, als Vorsitzender Richter am Landgericht und zuletzt auch als Pressedezernent ein intimer Kenner des Justizzentrums, reklamierte stets die Ansicht, das Landgerichtsgebäude von 1917 sei der »Neorenaissance« zuzuordnen.
Grandios und einmalig in Deutschland sind Teile der Außengestaltung des Baukörpers: Die Figur der Justitia ist allenthalben blind, sagen die Juristen. Die alte Dame wägt ihr Urteil unparteiisch ab, deshalb wird die personifizierte Gerechtigkeit gemeinhin mit einer Waage in der Hand und einer Binde vor den Augen abgebildet oder dargestellt. Das ist überall so, nur nicht in Bielefeld: Der Bielefelder Bildhauer Guntermann hat die Skulptur, die sich am alten Landgericht an der Kreuzung Detmolder Straße/Niederwall emporreckt, sehenden Auges nach der Wahrheit spähen lassen. Landgerichts-Präsident Uwe Jürgens meinte einmal begeistert über die Kuriosität: »Das soll beispielhaft für die Bielefelder Justiz sein.«
Die Dame aus Muschelkalk ist an dem Gebäude nicht der einzige Zierat: Über den Arkaden und unter dem alten Präsidentenzimmer (mit Erker!) prangen die Köpfe von drei Putten, die keck mit Barett, der althergebrachten Kopfbedeckung des Richters, geschmückt sind.
Diese Juristen-Schiffchen sind Geschichte, geblieben sind nur die »wollenen schwarzen Röcke« geschäftiger Juristen, die immer seltener ihren Terminen im alten Landgerichtsgebäude nachgehen. Dabei lohnt gerade hier ein Streifzug durch diesen geschichtsträchtigen Gebäudetrakt . . .

Artikel vom 06.11.2004