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Zu Allerheiligen

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


Wenn Sie jetzt an dieser Stelle lesen würden, dass das christliche Lebenszeugnis in unserer modernen Welt zurückgeht, würden Sie wahrscheinlich zustimmend nicken, oder? Wenn Sie stattdessen auf die Behauptung stoßen, Christen verlören heute zunehmend um des Glaubens willen ihr Leben, dann halten das sicherlich viele für haltlose Übertreibung irgendwelcher fundamentalistischer Scharfmacher.
Zunächst einmal das Faktum: Das gerade vergangene Jahrhundert ist tatsächlich das Jahrhundert der meisten Glaubenstoten in der christlichen Geschichte gewesen. In die nackten Zahlen spielt selbstverständlich hinein, dass auch die Weltbevölkerung in demselben Jahrhundert ungeheuer gewachsen ist. Dennoch ist von der Tatsache nicht ablenkbar, dass noch nie so viele Christen für ihren Glauben gestorben sind, wie im 20. Jahrhundert.
Die Gründe liegen auf der Hand: das vergangene Jahrhundert war ein Jahrhundert der Ideologien. Wie viele starben in den Säuberungen und Gulags des russischen Kommunismus, wie viele in der chinesischen Kulturrevolution - der lupenreine Kommunismus verträgt keinen Gottglauben. Für ihn sind alle Gottgläubigen die Drogendealer des »Opiums für das Volk“. Zehntausende kamen bei religiösen Säuberungen
verschiedener asiatischer Länder zu Tode. Andere Vorgänge werden in der modernen Literatur eher als »Genozid« behandelt, wie die millionenfachen Toten und noch mehr Vertriebenen aus der armenischen Volksgruppe in der Türkei - tatsächlich waren jedoch diese Armenier genau die Christen im Land und auch die im gleichen Zusammenhang vertriebenen orthodoxen Griechen gehörten der christlichen Religion an.
Unser eigenes Land hat den Nationalsozialismus hervorgebracht. Die Abermillionen Kriegsopfer des 2. Weltkrieges stehen selbstverständlich in keiner mengenmäßig erheblichen Relation zur Zahl der Toten, die wegen ihrer christlichen Überzeugung umgebracht wurden. Aber gerade die Konzentrationslager der Nazis gehören dennoch zu jenen Orten ideologischer motivierter Vernichtung von Christen, die keinen
Vergleich mit den Zahlen der Christenverfolgungen der ersten Jahrhunderte zu scheuen brauchen. Einige dieser Toten wie Bonhoeffer, Maximilian Kolbe, DelpÉ kennt fast jedermann in Deutschland. Noch einmal zurück zur Ausgangsfrage: Wie vielen Christen ist es wirklich klar, welche Lebenskonsequenz unser Glaube andere Frauen oder Männer im selben Moment kostet. Gerade in den asiatischen Ländern und in Teilen Afrikas kommen in den letzten zwei Jahrzehnten sogar zunehmend mehr Christen ums Leben, weil ihre Kirchen gesprengt oder kirchliche Einrichtungen zerstört werden.
Damit kein Missverständnis entsteht: nicht nur Christen sterben, weil sie Christen sind! Ebenso bringen fanatisierte Hindus Buddhisten um oder Muslime die Hindus und Juden. Und auch christliche Gruppen gehören ab und an zu den Tätern an Mitgliedern anderer Religionen. Fairerweise muss man jedoch sagen, dass dies vergleichsweise äußerst selten vorkommt.
Vieles geschieht im Zusammenhang ethnischer und nationaler Fanatisierungen. Aber es wäre ein Riesenfehler, die wirklichen Märtyrerinnen und Märtyrer unter diesen Toten zu verschweigen. Denn wie viele engagierten sich bewusst in einem christlichen Hilfswerk, in einer christlichen Bildungseinrichtung, einer Menschenrechtsorganisation oder sogar als Ordensleute und wurden deshalb zur Abschreckung »liquidiert«. Ein Bischof Oscar Romero wurde am Altar erschossen, weil er sich gegenüber der Militärjunta für die rechtlosen Armen seines Landes einsetzte. In den selben Zusammenhängen sind gerade in Südamerika unzählige Laienkatecheten, Priester und Ordensleute umgebracht worden.
Der augenblickliche Papst ist einer wenigen, die mit dem Blick für die weltkirchliche Wirklichkeit diese Glaubenstoten nicht aus dem Blick verlieren. Viele hat er in den letzten Jahren offiziell als Märtyrer Anerkennung finden lassen und sie so vor dem schnellen Vergessen bewahrt. Uninformierte nennen diese vielen Heiligsprechungen inflationär und möchten vielleicht auch religiöse Lebensentscheidungen überhaupt in der modernen Zeit für unwichtiger halten. Die Glaubenserfahrung der Kirche dagegen empfiehlt: ruft solche Menschen in Gottes Nähe sogar um Fürbitte für Euer eigenes Leben an, Ihrer werdet zusätzliche Hilfe erfahren. Allerheiligen ist der Tag, an dem Christen dies gemeinsam tun.

Artikel vom 01.11.2004