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Das rettende Ufer liegt in China

Dürkopp Adler AG: FAG verkauft Aktienmehrheit an ShangGong

Von Michael Diekmann
Bielefeld (WB). Chinesisch ist die neue Amtssprache bei Dürkopp Adler. Seit Freitag liegt die 94,4 Prozent-Aktienmehrheit nicht mehr bei FAG in Schweinfurt, sondern bei ShangGong. Die Unterzeichnung der zwei Jahre verhandelten Verträge passierte völlig außerhalb des Fokus aller Bielefelder: im chinesischen Shanghai vor Publikum.

Von Gewinnen und Dividenden hatte in diesem Jahr bei Dürkopp Adler niemand gesprochen, wohl aber von der dringenden Notwendigkeit der Übernahme durch den chinesischen Branchenriesen ShangGong. Glaubt man Vorstandssprecher Werner Heer, auf den die Verantwortlichen in Oldentrup am DA-Hauptsitz große Hoffnung setzen, liegt der Schlüssel zum Erfolg von Dürkopp Adler genau dort im Reich der Mitte.
Erst im Rahmen der Hauptversammlung im Juni hatte Heer den Ausweg aus der schwierigen Lage mit Bilanzverlust und mauer Auftragslage skizziert: Weil ohnehin mehr als die Hälfte der Weltproduktion an Industrienähern nach China geht und man als Teil von ShangGong zum Inlandslieferanten wird, fallen Einfuhrzölle weg, purzeln Lohnstückkosten und bieten sich technologische Allianzen in Fernost, während Westeuropas Markt weiter rückläufig ist.
Dass hatte erstmals auch die bisherige Dürkopp-Vorzeige-Branche Fördertechnik zu spüren bekommen, die ebenso auf das Ergebnis und Kleinaktionären auf den Magen schlug wie die Kosten für Sozialpläne aus einstigen Verschlankungsprojekten, die stets Arbeitsplätze am Stammsitz Bielefeld gekostet hatten.
Was die Strategen auf Dürkopp Adlers Kommandobrücke als wesentlichen Baustein für die Zukunft ansehen, empfinden die Urgesteine des einstigen Maschinenbautitanen als Ausverkauf eines weiteren Bielefelder Traditionsunternehmens. Welche Zukunft der Standort Bielefeld hat, vermag momentan niemand zu sagen. Die Produktionsstätten waren von Oldentrup aus längst zunächst nach Boskovice in Tschechien und wenig später nach Rumänien verlegt worden. In Oldentrup wurden Maschinen abgebaut und verlagert, Mitarbeiter in den Vorruhestand geschickt.
Der Name Dürkopp ist in Bielefeld verbunden mit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit der Wandlung der Stadt zum bedeutenden Textilstandort ebnet sich gleichsam der Weg zum Bau von Nähmaschinen. Die Importmaschinen aus Amerika sind teuer, die beiden Schlosser Baer und Koch gründen 1860 die erste Nähmaschinenfabrik. Auch Nikolaus Dürkopp, später Schlosser in jener Fabrik, hatte bereits 1861 eine eigene Nähmaschine konstruiert. 1867 machte sich Dürkopp selbstständig.
Fortan läßt der Name Dürkopp das Ansehen Bielefelds glänzen. Es gibt Autos, Lkw, Fahrräder, Motorroller und eben Nähmaschinen, die bei Dürkopp ebenso wie bei Kochs Adler, der späteren zweiten Hälfte bei Dürkopp Adler Anfang der Sechziger Jahre einziger Geschäftsbereich werden. Im Jahr 1962 geht die Aktienmehrheit an Dürkopp an FAG Kugelfischer. Rund 25 Jahre später übernimmt FAG auch Kochs Adler. Die zunächst hoch gehandelte Rettung in Bielefeld entpuppt sich später als große Hypothek. Stetig wechselnde Vorstände und Strategien in Bielefeld unterstreichen den geringen Stellenwert von DA für den Wälzlager-Riesen FAG.
Im Verkaufsjahr an ShangGong erinnern in Bielefeld neben dem Firmensitz Oldentrup in der Innenstadt nur noch umfunktionierte und verkaufte Gebäude an Dürkopp. Der Verkauf ist ein Stück weit Abbild des Industriestandortes Bielefeld. Den Rest muss die Zukunft zeigen.

Artikel vom 30.10.2004