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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


Angenommen, Sie sind gerade in Schwierigkeiten oder erleben eine gewisse Durststrecke im Berufsleben oder im Privaten. Dann interessiert Sie vielleicht eine kleine Beobachtung. Selbst wenn sie aus der Natur entlehnt ist, bleibt sie vermutlich nicht ganz ohne menschliche Parallelen.Vor einigen Wochen durfte ich mit einer kleinen Gruppe von Menschen die Sahara bereisen - endlose Sand- und Steinwüsten. Dort trafen wir jedoch auf »alte Bekannte«. Zumindest waren wir freudig überrascht, längs der wenigen verstreuten zwergwüchsigen grünen Sträucher auf unsere Zugvögel aus Europa zu treffen. Besonders Schwalben flogen dort in lockeren Trupps knapp über dem Boden gen Süden, die fruchtbaren Gebiete im mittleren Afrika vor Augen.
Diese Saharaüberquerung ist eine der größten Herausforderungen unserer Zugvögel. Unzählige bezahlen sie mit dem Tod. Aber die Jahrmillionen alte Prägung dieser Vogelrassen hat sie wohl gelehrt, dass das Aushalten der mitteleuropäischen Winterkälte mit noch viel größerer Sicherheit tödlich ist. Deshalb nehmen sie um des Lebens willen die Durststrecke Sahara in Kauf.
Nun war uns vorher bereits aufgefallen, wie nah diese Schwalben und andere Vögel uns Menschen an diesen wenigen grünen Flecken kamen. Sie hielten eine viel geringere Distanz, als wir es hier in Deutschland gewohnt sind. Immer wieder setzten sich auch Vögel direkt auf unsere Autos. Der extremste Fall trug sich jedoch eines frühen Morgens zu. Wir waren gerade mit dem Morgenrot aufgestanden, als eine einsame Schwalbe heran flog.
Haarscharf schoss sie dem ersten von uns am Kopf vorbei, kehrte sofort um, streifte den nächsten fast im Nacken, kehrte wieder um, bog erst wenige Zentimeter vor dem Gesicht eines anderen abÉ Diese Prozedur dauerte einige Minuten. Zuerst rissen wir noch instinktiv jedes Mal die Hände vor das Gesicht hoch, doch langsam kehrte das Vertrauen in die eleganten Flugkünste dieser Schwalbe zurück, denn sie berührte nie jemanden.
Nach einiger Ratlosigkeit stieg in uns die Einsicht auf: diese Schwalbe kämpfte um ihr Leben. Denn mit dem ersten Tageslicht waren auch die selbst in der Wüste niemals fehlenden Fliegen wieder aufgewacht.
Wir hatten uns schon viel zu sehr an ihr Schwirren um unsere Köpfe gewöhnt, so dass wir erst mit Verzögerung verstanden, dass die Schwalbe es genau auf diese Fliegen abgesehen hatte. Wir hatten gewissermaßen alle hungrigen Fliegen der Umgebung bei uns vereinigt, so musste die Schwalbe alle tief sitzende Angst vor dem Menschen fallen lassen, um - ohnehin bereits sehr geschwächt - nicht zu verhungern und zu verdursten.
Soll ein Mensch in einer Durststrecke die Nähe der anderen suchen? Oder soll er sich lieber allein durchschlagen? Das Verhalten von Vögeln ist für Menschen sicherlich kein direktes Vorbild. Aber alle erfahrenen menschlichen Wüstenbewohner machen völlig das gleiche: Niemand versucht dort alleine durch zu kommen. Reisen werden immer mit mehreren Autos oder Kamelen unternommen. Menschen und Tiere ziehen auch vorzugsweise zusammen, Instinkte und menschliche Klugheit ergänzen sich offenbar.
Also nochmals: Wenn Sie sich im Augenblick persönlich in einer Durststrecke befinden, wenn sie eine Phase der Schwierigkeiten im Privaten oder im Beruflichen durchlaufen, wie gehen Sie vor? Ziehen Sie sich zurück, tauchen Sie ab? Oder rücken Sie sogar bewusst näher an die anderen heran?
Gott ist Schöpfer unseres Lebens. Er selbst ist in sich Gemeinschaft - die Christen nennen dies Dreifaltigkeit, Trinität. Sollte es nur Zufall sein, dass Gottes Geschöpfe Herausforderungen besser gemeinsam bestehen als allein? Ob nun Durst oder Arbeitslosigkeit, Eheprobleme oder Schulangst - Gott lehrt uns, immer das Gespräch, die Nähe und die Weggefährten zu suchen.
Da fällt immer überraschende »Nahrung« ab. Und es stützen sich sogar gegenseitig jene Geschöpfe, die vorher gar nichts miteinander zu tun zu haben meinten.

Artikel vom 30.10.2004