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Nichts tun ist zu wenig

Horst Wolter schätzt den Mut der sächsischen Partnerstadt Ostritz

Von Monika Schönfeld
(Text und Foto)
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). »Von Ostritz habe ich viel mitgebracht: Improvisationsvermögen, Mut und die ständige Frage, wo das Geld herkommt.« Schloß Holte-Stukenbrocks Tiefbauamtsleiter Horst Wolter (61) ist der letzte aus der Stadtverwaltung, der aktiv an einer lebendigen Partnerschaft mit der sächsischen Kleinstadt Ostritz (3000 Einwohner) arbeitet. »Durch eine Partnerschaft lernt man immer, sie rückt die eigenen Verhältnisse ins rechte Licht.«

Der Austausch mit Ostritz ebbe ab. Als 1991 die Partnerschaftsurkunde unterzeichnet worden sei, habe es gegolten, Aufbauarbeit zu leisten. Die Kontakte seien personenbezogen gewesen - angeregt von Günter Weiser, der verwandtschaftliche Kontakte hatte. In der Gesellschafterversammlung der drei Ostritzer Gesellschaften Bauen und Wohnen, Technische Werke Ostritz und der VEGO (Ver- und Entsorgungsgesellschaft Ostritz), 100-prozentige Töchter der Stadt, sitzen vier Ostritzer und vier (ehemalige) Schloß Holte-Stukenbrocker: Horst Wolter, der ehemalige Gemeindedirektor Dr. Burkhard Lehmann, Uli Eilebrecht, einst Kämmerer Schloß Holte-Stukenbrocks, jetzt Chef der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Wülfrath, und das ehemalige Ratsmitglied Heinz-Dieter Lomann. Bis auf die Feuerwehr und Privatpersonen gibt es keinen regelmäßigen Austausch - unter Schülern oder Vereinen zum Beispiel. Das Fachwissen aus dem Westen ist den Ostritzern wertvoll - die vier sind vom Stadtrat erneut gebeten worden, in der Gesellschafterversammlung mitzuwirken.
Nach der Wende sei der Handlungsbedarf enorm gewesen. Richtige Pionierarbeit haben die Schloß Holte-Stukenbrocker geleistet, sächliche Hilfe mit Bürobedarf und Computern übernommen, vor allem aber Know-how beim Aufbau der Verwaltung gebracht. »Als wir die Partnerschaft übernommen haben, lag Ostritz, 600 Kilometer entfernt am äußersten Zipfel Deutschlands, wirklich in Dunkeldeutschland. Die Stadt hatte keine Kanalisation, keine Kläranlage, wenige asphaltierte Straßen«, erinnert sich Wolter, gerade zurück von der jüngsten Gesellschafterversammlung am Wochenende. Die Textilindustrie sei zusammen gebrochen wie der nahe gelegene Braunkohletagebau, viele Bürger hätten die Stadt verlassen. »Die schlimme Zeit ist noch nicht zu Ende«, meint Wolter.
Wolter bewundert allerdings die Energie, mit der der damalige Bürgermeister Günter Vallentin und Bauamtsleiter Matthias Schwarzbach »hoch gepokert« haben. »Nichts machen ist zu wenig« sei das Leitbild gewesen. So habe sich die Stadt vorgenommen, als erste deutsche Stadt energie-autark zu werden. Das ist zwar nicht komplett gelungen, aber die beiden Persönlichkeiten haben es geschafft, mit Fördermitteln des Landes Sachsen und der Bundesstiftung Umwelt zur »Energieökologischen Modellstadt« zu werden, mit dem sie zur Expo 2000 Titel und Auszeichnung erhielt. Ostritz setzt konsequent auf regenerative Energien, sei es Solar-, Wind- oder Biomassenenregie. Die Fernheizung, die mit einer Holzhackschnitzelanlage betrieben wird, versorgt alle Bürger. Angesichts der steigenden Ölpreise hält Wolter die Entscheidung für eine kluge, 2004 und 2005 werden die Preise für den Bürger nicht erhöht. Mit dem Internationalen Begegnungszentrum Kloster St. Marienthal habe sich die Stadt den Tourismus erschlossen. 12 000 Gäste im Jahr, die Tagungen (überwiegend Umweltthemen) besuchen, haben die Hotellerie zum stärksten Wirtschaftszweig gemacht. In Tagestouren sind auch Kulturstädte wie Dresden, Breslau und Weimar gut erreichbar.
Die Partnerschaft mit Schloß Holte-Stukenbrock, so die Einschätzung Wolters, der seit 1979 Tiefbauamtsleiter ist, sei für Ostritz Gewinn bringend gewesen. Vor allem seien Fehlinvestitionen in den ersten Jahren nach der Wende vermieden worden. »Damals haben viele Haie abgesahnt. In den jungen Bundesländern gibt es zuhauf einen Gigantismus mit überdimensionierten Klärwerken, die Probleme verursachen, weil sie nicht genug zu tun haben, großen Gewerbegebieten, die keiner besiedeln will«, sagt Wolter. Die Euphorie, dass es Fördermittel ohne Ende gebe, habe er zu einer realistischen Einschätzung herunterschrauben können - ein Plus heute für die Partnerstadt im Grenzdreieck zu Polen und Tschechien.

Artikel vom 28.10.2004