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Barroso zieht Notbremse

Europaparlament gewinnt Machtprobe - Rückzug der Kommission

Von Dirk Schröder
Straßburg (WB). Bisher einmalig in der Geschichte der Europäischen Union: In letzter Minute hat gestern der designierte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso seine Mannschaft für die EU-Kommission zurückgezogen. Barroso zog die Notbremse, weil ihm im Straßburger Parlament in der Vertrauensabstimmung eine Niederlage drohte.

Die ostwestfälischen Europaabgeordneten Elmar Brok (CDU), Mechtild Rothe (SPD) und Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf (Grüne) begrüßten gestern gegenüber dieser Zeitung die Entscheidung und sprachen von einem Sieg des Parlaments.
Brok bezeichnete das Kräftemessen zwischen Parlament und Kommission als völlig normales Verfahren, wie es auch auf nationaler Ebene üblich sei. »Bürger und Öffentlichkeit müssen sich daran gewöhnen, dass die Demokratie in Europa angekommen ist.« Brok rechnet damit, dass einige Posten neu verteilt, aber auch neue Kommissare benannt werden. Es gehe um vier bis sechs Namen, nicht allein um den Italiener Rocco Buttiglione.
Mechtild Rothe sprach von einem wichtigen Sieg für das Parlament. Europa brauche eine starke Kommission, und Barroso habe nunmehr die Chance, eine solche zu bilden. Sie begrüßte ausdrücklich, dass dieser im letzten Moment noch Kooperationsbereitschaft gezeigt habe.
Graefe zu Baringdorf unterstrich, dass das Parlament nicht an einer Schwächung der Kommission interessiert sei. Er nahm Barroso gegenüber dem Europäischen Rat sogar in Schutz: »Da kommen aus den Mitgliedstaaten zum Teil Kandidaten, die nur bedingt tauglich sind.«
Vor allem wegen des italienischen Kandidaten für das Innenressort, Rocco Buttiglione, drohte Barrosos Mannschaft eine Niederlage im Parlament. Sozialisten und Kommunisten, aber auch viele Liberale wollten ohne Umbesetzungen der Kommission nicht zustimmen. Barroso sagte, er brauche mehr Zeit, um sich mit den Staats- und Regierungschefs abzustimmen und eine breite Unterstützung zu bekommen. »Die Uhr anzuhalten, ist die beste Lösung.«
Barroso äußerte sich nicht im Detail zu seinen Plänen, sagte nur: »Ich habe vor zu ändern, was notwendig und ausreichend ist.« Er selbst kann nur die Verteilung der Ressorts regeln, sich die von den nationalen Regierungen entsandten Kommissare aber nicht aussuchen.
Italiens Außenminister Franco Frattini erklärte gestern, seine Regierung wolle an Buttiglione festhalten. Der Chef der Sozialisten, der deutsche SPD-Abgeordnete Martin Schulz, erklärte dagegen unmissverständlich: »Eine neue Komission mit Buttiglione wird es nicht geben.«
Schon heute kann Barroso mit den Staats- und Regierungschefs der 25 EU-Staaten nach einem Ausweg aus der Krise suchen. Diese treffen sich in Rom, um am Freitag den Verfassungsvertrag der EU zu unterzeichnen. Vorerst führt die Kommission von Romano Prodi die Geschäfte weiter.
S. 4: Hintergrund/Kommentar

Artikel vom 28.10.2004