27.10.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Lehnings Doktorarbeit
bleibt im Windschatten

Das dritte Buch über Bertelsmann in diesem Jahr

Von Stephan Rechlin
Gütersloh (WB). Gemessen am Medienecho ist »Das Medienhaus«, das mittlerweile dritte Buch über den Bertelsmann-Konzern in diesem Jahr, im Windschatten der beiden anderen Publikationen über »Die Mohns« (Schuler) und »(...)die dunklen Seiten des Medienimperiums« (Fischler/Böckelmann) geblieben. Das liegt zum einen am Buch selbst: Es ist eine dicke, medienwissenschaftliche Doktorarbeit ohne reißerischen Titel.

Zum anderen trägt der Autor eine gewisse Mitschuld. Wenn er in der Einleitung seinen Ansatz als »beschreibende und kontextualisierende Erzählweise«, als »kritische Lektüre des Medienhauses« bezeichnet, die »transmediale Versatzstücke miteinander verwebt und letztendlich als Grundlage einer medienwissenschaftlichen Hermeneutik dient«, dann freut das allerhöchstens seinen Doktorvater - einen Gütersloher Leser schreckt das eher ab. Dabei reizt der Anspruch Lehnings zum Weiterlesen: Er will »Geschichte und Gegenwart des Bertelsmann-Konzerns« schildern, die wirtschaftliche Einflussnahme auf Medien im praktischen Vollzug beschreiben. Endlich mal keine schmutzige Wäsche, endlich keine investigativen Entlarvungen über ein von vornherein böses Unternehmen.
Das größte Verdienst Lehnings ist sein Fleiß. Im Gegensatz zu den anderen Autoren wagt er sich analytisch an den Medienkonzern heran, sortiert die vielen hundert Einzelunternehmen nach Unternehmensbereichen und listet sie im Anhang - gegliedert nach Epochen! - auf. In sechs Kapiteln wird darauf aufbauend die Entwicklung des Club-, Verlags-, Zeitschriften-, Musik-, Film- und Fernseh-, Druck- und Dienstleistungsgeschäftes geschildert. Diese Leistung allein macht die Dissertation zu einem kritischen Bertelsmann-Handbuch - ein Nachschlagewerk für alle, die sich näher mit dem Bertelsmann-Konzern befassen wollen.
Etwas abgehoben wirkt dagegen die Schlussfolgerung, die Lehning aus seiner Untersuchung zieht. Danach wirft Lehning dem Unternehmen vor, mit flachen, massentauglichen Medieninhalten einen (schlechten) Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben. Der Konzern sei geradezu auf die Produktion solch flacher Medieninhalte wie etwa »Ich bin ein Star, holt mich hier raus« zugeschnitten. Eine kleine Elite (»Mohnarchie«) übe mit ihren elektronischen Werkzeugen auf der Grundlage von Zahlen und Marktinformationen die strategische Führung über eine gewaltige Anzahl weltweiter Unternehmenstöchter aus. Zu befürchten sei, dass das supranationale Netzwerk des Medienkonzerns sein Massenpublikum in Zukunft noch gezielter manipulieren könne als heute. Teile der von Medien geprägten Lebenswelt liefen Gefahr, unter den Einfluss vermögender Personen zu geraten, die ihre privaten Überzeugungen zur sozialen Illusion stilisierten und Kultur als Machtinstrument missbrauchten.
Dieses Fazit überrascht, zumal Lehning die tatsächliche »Wirkung« der Medieninhalte auf die Gesellschaft gar nicht untersucht hat. Zur Einflussnahme gehören immer zwei. Und warum sollte sich Bertelsmann schämen, wenn ein mit Gebühren finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk oftmals ähnliche Inhalte bietet?
l Lehning, Thomas: Das Medienhaus. München 2004

Artikel vom 27.10.2004