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Nach Leben im Schatten den Vertrag gekündigt

Gastspiel »Hannelore Kohl« im Kleinen Theater


Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Nur einmal in ihrem Leben hat Hannelore Kohl für Schlagzeilen gesorgt und da war sie -Êparadoxer Weise -Êtot. Kurz warfen die Medien ihre Schlaglichter auf die Frau an der Seite Helmut Kohls, dann war alles gesagt und geschrieben. Bis der junge Theaterautor Sascha Schmidt Hannelore Kohl gewissermaßen als eine Antigone der modernen Tragödie ins Êherunter gedimmteÊRampenlicht rückte.
»Ich habe lange über diesen Schritt nachgedacht, aber ein langes Siechtum will ich dir und mir ersparen. Meine Kraft ist nun am Ende, nach jahrelangem Lichtentzug . . .«, beginnt das Stück mit einem Auszug aus dem Abschiedsbrief. Der 34-jährige Autor geht mit viel Einfühlungsvermögen ein heikles Thema an, wenn er die von einer Lichtallergie geplagte Frau, die am 4. Juli 2001 den Freitod wählte, für die Dauer von 80 Minuten auf der Bühne Bilanz ziehen lässt. Es ist eine nüchterne, ohne Selbstmitleid geschilderte Abrechnung mit einem Leben im Schatten, ehe sie »den Vertrag aufkündigt«. Und ein Stück, das den Zuschauer nachdenklich und mit beklommenem Gefühl auf den Nachhauseweg schickt.
Vielleicht, weil es Anna Haack in der Rolle der Hannelore Kohl so eindringlich gelingt, dieser Frau, die in der Öffentlichkeit stets »nur« die adrette und korrekte Kanzlergattin gab, ein menschliches Antlitz aus Stärken und Schwächen zu verleihen. Auf der nur von einer Taschenlampe erleuchteten Bühne fällt der analytisch geschärfte Blick zurück auf ein Leben, das sich den Interessen des Karriere machenden Politikers Kohl unterzuordnen hatte. Zwischen Bewunderung und Ekel für den Ehemann und Patron der deutschen Einheit brechen sich die Gefühle Bahn. Zwischen jugendlicher Schwärmerei und bitterem Zynismus offenbart die Protagonistin eine Ambivalenz, die das gesamte Leben der Hannelore Kohl zu durchziehen scheint. Selbstbild und Fremdbild klaffen auseinander wie Licht und Schatten.
Daneben erlebt der Zuschauer eine Frau, die sich ihrer Vorbildfunktion und Rolle bewusst war und die Bürden des Amtes mit Disziplin und Pflichtbewusstsein trug. Eine, die nicht nur litt, sondern es auch genoss, auf dem Balkon zu stehen. Doch während sie ihren Teil des Vertrages erfüllte, blieben ihre Bedürfnisse unerfüllt.
Unterm Strich bleibt nichts, was das Leben lebenswert machte: Die Einsamkeit nagt an ihr, ihre Klugheit und Diskretheit bleibt ungewürdigt, auf ihre Verletzlichkeit wird keine Rücksicht genommen, die Liebe ist vor langer Zeit schon gestorben und die Krankheit hat alle Kraftreserven aufgebraucht. Es bleibt, so resümiert sie, nur mehr eine leere Hülle.
Anna Haack (63) spielt die vielen Facetten und Gefühlslagen der Hannelore Kohl meisterhaft aus. So kann der ins Textbuch geschriebene, glaubhaft wirkende Monolog im Zusammenspiel mit Maske und Kostüm seine gespenstisch authentische Wirkung entfalten.
Weiter Vorstellungen am 23. und 24. Oktober um 19.30 Uhr im Kleinen Theater, Murnau-Saal, Ravensberger Spinnerei.

Artikel vom 23.10.2004