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Selbstzweifel plagen den Erfolgsautor

Peter Rühmkorf wird am Montag 75 Jahre alt

Von Thomas Borchert
Hamburg (dpa). »Wenn ich nicht so'n fideler Kerl wäre, könnte man mich fast schon ne tragische Erscheinung nennen«, schrieb Peter Rühmkorf 1972 über sich als bettelarmen, versoffenen und seiner Fähigkeiten alles andere als sicheren Schriftsteller. Im Gegensatz zu ihm hat die Literaturwissenschaft die Qualitäten des Autors in Hamburg längst erkannt. Montag wird Rühmkorf 75.

Eine zum Geburtstag erschienene Bild-Biografie, eine zweibändige Werkbibliografie, eine Neuausgabe expressionistischer Gedichte und eine von der Stadt Hamburg arrangierte Ausstellung über das Leben des Dichters zeigen, dass Rühmkorf die Bezeichnung »tragische Erscheinung« nicht für sich in Anspruch nehmen kann.
Die Selbstzweifel des vor allem als Lyriker und als Tagebuchschreiber aktiven Autors sind trotzdem keine Koketterie. Aufrichtig bis zur Selbstentblößung schildert Rühmkorf in den Tagebüchern »Tabu II« seinen Kampf ums tägliche Überleben, der ihn Anfang der 70er-Jahre dazu zwang, Nachhilfestunden zu geben. Diese Tagebücher präsentieren den ganzen Rühmkorf mit allem, was er seit der Veröffentlichung seines ersten Gedichtes 1956 literarisch und als politischer Zeitgenosse angepackt hat. Rühmkorf schreibt Verse, ernste und witzige, Dramatisches, er nimmt als Linker wachen und zunehmend entsetzten Anteil an der Entwicklung seiner früheren Freundin und »Konkret«-Kollegin Ulrike Meinhof zur Terroristin. Rühmkorf mag viele Leute und schreibt schöne Eintragungen über seine Freunde, die vorzugsweise Namen wie Mülli, Lüngi und Nulli tragen.
Der Mann hat sich trotz oder vielleicht teilweise auch wegen seiner ausgeprägten Selbstzweifel einen Platz unter den geachtetsten deutschen Nachkriegsliteraten erobert. Kaum ein Preis, den er nicht bekommen hätte, darunter 1993 den Büchnerpreis. Typisch für ihn ist die eindeutige Parteinahme gegen den »Großkritiker« Marcel Reich-Ranicki nach dessen Verriss des Grass-Romans »Das weite Feld«. Rühmkorf kündigte ihm die Freundschaft, um später Reich-Ranickis kokette Dauerbereitschaft zur Versöhnung zu parodieren: »Ich habe noch nie eine Hand abgewiesen, der ich mal ein paar Finger abgeschlagen habe.«
Endlos variiert der in Dortmund als unehelicher Sohn einer Pastorentochter geborene Autor in den Tagebüchern seine Unsicherheit und das Gefühl, gegen »die anderen« Schriftstellergrößen und sonst wie Erfolgreichen abzufallen: »Eigentlich haben alle richtig was zu erzählen oder bewegen sich zumindest auf dramatische Verwicklungen zu, nur mein eigenes Leben ist ziemlich bedeutungslos.«
Dabei wirkt Rühmkorf wie wohl wenige andere in seiner Branche ganz bei sich, wenn er Obsessionen wie endlosen TV-Konsum, seine Freude an der (verbalen) Gosse oder sein auch im fortgeschrittenen Alter offenbar ungetrübtes Verhältnis zum Konsum flüssiger und zu inhalierender Drogen in Worte fasst.

Artikel vom 23.10.2004