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Wolldecke schützt
Familienbibel von
1693 bei Umzug

Die ersten Senioren leben sich ein


Von Annemargret Ohlig
(Text und Fotos)
Quelle (WB). Noch herrscht das übliche Umzugs-Chaos in der neuen Wohnung von Ursula und Günter Matthias. Zwischen Schrankwand und Sofa stapeln sich die Kartons. Und die Möbelpacker schleppten gestern Nachmittag weiter Schränke und Kisten hinauf in den ersten Stock der gerade fertiggestellten Seniorenwohnanlage an der Queller Klemensstraße gegenüber der Johanneskirche.
Dennoch kehrte, trotz aller Umzugshektik, für eine kleine Weile Ruhe und Gelassenheit im neuen Wohnzimmer des Ehepaares ein: als Günter Matthias nämlich vorsichtig ein großes Buch aus einer dicken Decke »herausschält« und auf den Tisch der Sitzecke im Erker legt. Es ist eine kunstvoll in Holz und Leder gebundene Bibel aus dem Jahr 1693, die ebenso lange in Familienbesitz ist.
»Die Umzugsleute waren von unserer alten Bibel so beeindruckt, dass sie "das Buch", wie sie es nannten, eigentlich gar nicht in ihrem Lkw mitnehmen wollten. Aus Sorge, es könnte auf der langen Fahrt von unserer bisherigen Wohnung in Schleswig Holstein beschädigt werden«, erzählt Ursula Matthias. Entsprechend sorgfältig wurde das eindrucksvolle, mit Messingbeschlägen versehene Buch dann in eine Decke gehüllt und bei der Ankunft in der Klemensstraße umgehend an einen sicheren Platz im neuen Domizil des Ehepaares gelegt.
Die Pracht-Bibel, die stets vom Vater an den Sohn weitergereicht wird, genoss in den mehr als drei Jahrhunderten einen ganz besonderen Stellenwert in der Familie - was mit Sicherheit auch am Beruf der Vorfahren liegt. »Viele von ihnen sind Pfarrer gewesen«, erklärt Günter Matthias. »Einer, Louis Matthias, war Ende des 19. Jahrhunderts sogar Erster Pfarrer in der Herforder Münsterkirche.«
Pfleglich mit diesem großartigen Buch sind auch die gebürtige Kielerin Ursula und der Westfale Günter Matthias immer umgegangen. Letzterer schlug zwar keine theologische Laufbahn ein. Aber im engeren Sinn hatte auch er mit der Kirche zu tun: Matthias war bis zu seiner Pensionierung Jurist im Landeskirchenamt Bielefeld.
Im Ruhestand zog es das Ehepaar dann vor 13 Jahren in die norddeutsche Heimat der Frau. Dass die Bibel nun seit gestern wieder im Ostwestfälischen beheimatet ist, ist auf einen früheren Kollegen des Juristen im Landeskirchenamt zurückzuführen.
Als der erfuhr, dass Ursula Matthias nach einer misslungenen Operation eine barrierefreie Wohnung benötigt und zudem gern wieder in der Nähe ihrer Kinder wohnen möchte, erzählte er dem Ehepaar vom Seniorenwohnprojekt des Diakonischen Werks Brackwede auf dem ehemaligen Gemeindehausgelände der Queller Johanneskirche.
Hier sind in etwas mehr als einem Jahr Bauzeit, nach Plänen des Architekten Fritz Karl Wachtmann, 21 frei finanzierte, barrierefreie Seniorenwohnungen für betreutes Wohnen entstanden. Zu den ersten Mietern, die seit dem vergangenen Wochenende jetzt nach und nach einziehen, gehören auch die Matthias'.
»Bis auf vier etwa 60 bis 65 Quadratmeter große Erdgeschoss-Wohnungen haben wir inzwischen alle Einheiten vermietet«, sagt Bernd Onckels, Geschäftsführer des Diakonischen Werks.

Artikel vom 22.10.2004