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Lebensweisheit

»Politik in der Wirt- schaft ist wie ein Mühlstein als Schwimmlehrer.«

Leitartikel
Reizstoff private Autobahn

5991 - oder:
schuldenfrei
im Jahre X?


Von Rolf Dressler
Vor der Wahl ist nach der Wahl. Und umgekehrt gilt das gleiche. Immer wieder. Diese unverrückbare Gewissheit trägt fast schon skurrile Züge und ist sehr real.
So sehr wir Bürger des Berliner Basar-Handels mit Politiker-Köpfen und -Gesichtern auch überdrüssig sein mögen: Die Fadenzieher und Koalitionsschmiede von Schwarz und Rot gefallen sich genüsslich darin. Sie benennen ihre Ministermannschaften - und entheben sich damit erst einmal weitgehend der Pflicht, den Leuten zu sagen, was konkret sie zum Nutzen Deutschlands und seiner verunsicherten, enttäuschten und frustrierten Menschen tun wollen. Und vor allem, wie rasch die drängenden Probleme angepackt und beiseite geräumt werden sollen.
Das Warten darauf hält unvermindert an. Derweil wärmt beispielsweise der künftige Staatskassenwart Peer Steinbrück von der SPD schon mal vorweg eine altbekannte Idee auf: den Komplett-(Aus-)Verkauf des deutschen Autobahnnetzes an private Investoren bzw. Betreiber bzw. Mautgebühren-Eintreiber. Das klingt bei flüchtigem Hinhören fortschrittlich-dynamisch - sieh an, sieh an, Väterchen Staat bewegt sich, erkennt die Zeichen der Zeit!
Nur, wie war das doch noch mit den glorreichen 99 Milliarden, die Steinbrücks Amtsvorgänger Hans Eichel aus dem Verkauf der Mobilfunk-Lizenzen erlöste? Alles längst verbraucht, verbraten und versenkt in die gigantischen schwarzen Haushaltslöcher unserer Billionenschulden.
Bereits abzusehen ist der Tag, an dem der deutsche Staat, dessen Rundum-Geldbeschaffer niemand anderes als seine fast 83 Millionen Bewohner sind, nichts mehr haben wird, das sich notnagelgemäß noch verscherbeln ließe. Geradezu atemberaubend türmt sich die schwere Zukunftshypothek »unserer« Verbindlichkeiten höher und höher auf.
Selbst wenn die öffentliche Hand in Bund, Bundesländern und Gemeinden von Stund an keinen einzigen Euro Kredit mehr aufnähme, wäre Deutschland in 3986 Jahren schuldenfrei. Nach Adam Riese hätten »wir« dann also - von heute an gerechnet - exakt erst im fernen Jahre 5991 die horrenden Schuldenlasten abgetragen.
Indes, die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu jemals kommen könnte, tendiert gegen Null. Aber wenn sich das so erweisen sollte, könnte am Ende, ganz nüchtern betrachtet, sogar eine Währungsreform stehen (müssen). Nichts zeigt deutlicher, welche gewaltigen Anstrengungen der künftigen Großen Koalition in Berlin abzuverlangen sind.
Anhaltende Tändelei und Problemverschleppung wären das Letzte, was Land und Leute verdient hätten.
Weil das staatliche Tafelsilber schon bald gänzlich verhökert sein wird, würde ja auch nicht einmal mehr eine flächendeckende Bandenwerbung auf den Leitplanken entlang privatisierter Bundesautobahnen helfen.
Und die Privatisierung sämtlicher sonstiger Straßen samt der Gehwege ebensowenig...

Artikel vom 19.10.2005