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Blumen verbannen das Böse

Die Römer flochten ihren Toten Rosenkränze

Von der Geburt bis zum Tod eines Menschen sind Blumen in vielerlei Gestalt unentbehrliche symbolträchtige Begleiter. Volkskundlich haben Blumen einen tieferen Sinn und als Grabschmuck auf dem Friedhof eine lange Geschichte.
Volkskundlich haben Blumen einen tieferen Sinn und als Grabschmuck eine lange Geschichte.
Gräber zu schmücken, Verstorbene zu ehren - das lässt sich zurückverfolgen bis in die Jungsteinzeit. Ahnenkult und Totenglauben veranlassten die Sippe, Nahrung, Kleidung, Schmuck und mancherlei Gebrauchsgegenstände dem Verblichenen mit ins Grab zu geben.
Geschichtlich sehr früh schon wollte man daneben durch Schmücken des Grabes Böses vom Leichnam fern halten. Weiße Lilien und Rosen, Nelken, Ringelblumen, Efeu, Immergrün, Buchsbaum und vor allem wohlriechende Kräuter waren auf dem Gottesacker als ausgesprochene Totenblumen zu finden. Der tiefe, symbolische Zusammenhang zwischen Tod und Blumen findet sich in Sagen, Märchen und Liedern wieder: Bäume und Blumen wachsen aus Gräbern als Sinnbild der Unschuld, ewiger Liebe oder gemeiner Verbrechen.
Spross eine Distel aus dem Grab, galt das als Aufforderung zur Lesung einer Messe für den Verstorbenen. Wer an Friedhofsblumen roch, konnte altem Aberglauben zufolge den Geruchssinn einbüßen oder dieselbe Tod bringende Krankheit bekommen. In jedem Falle war Grabschmuck ausschließlicher Besitz des Toten. Frevlern, die diese Blüten etwa pflückten, erschien der Tote im Alptraum oder sie wurden gar in die Tiefe gezogen. Auf einem Berliner Friedhof findet sich noch heute mahnend der Spruch: »Die Blumen sind der Toten Eigentum. Freund, denke dran, und ehr' dies Heiligtum«.
Die Wahl der Grabbepflanzung orientierte sich anfangs an mythischen Grundsätzen: Die Ägypter liebten gelbe Blüten auf den Gräbern als Symbol des Sonnengottes. Myrten und Narzissen bevorzugten die Griechen, während die Römer ihren Toten Rosenkränze flochten. Als im Mittelalter verheerende Seuchen die Menschen dahinrafften, gab man bösen Geistern und Hexen die Schuld daran. Amulette, Talismane, Gegenzauber sollten vor der Pest schützen. »Abwehrende« Kräuter wie Dürrwurz, Sumpfgarbe, Kreuzkraut, Frauenflachs, stark duftender Rosmarin oder Wermut und stachelige Gewächse bewahrten im Volksglauben vor üblem Zauber, machten Friedhöfe aber zu schaurigen Orten.
Als Pocken und Pest besiegt waren und der Geisterglaube der Vernunft gewichen, wandelte sich im 19. Jahrhundert vor allem auf dem Land die Bepflanzung der Gräber. Gedenksteine und Kreuze wurden von langlebigen, symbolträchtigen Stauden und Hölzern umrahmt: Holunderbüsche, Lebensbaum und Buchsbaum versinnbildlichten Heimat und Geborgenheit, Vergissmeinnicht und Rosen unterstrichen das liebevolle Gedenken. Erst sehr viel später schmückte man die Gräber zunehmend mit bunten Gartenblumen je nach Jahreszeit.
Die Zeit der Geisterbeschwörung durch symbolische Handlungen und Zauberpflanzen an den Ruhestätten der Toten ist lange vorbei. Wer in der herbsttrüben Zeit über den Friedhof geht, empfindet ihn vielfach als »Trauergarten«, in dem Skulpturen, Gedenksteine und Mahnmale neben den farbenfroh oder dauerhaft grün geschmückten Gräbern zu innerer Einkehr und Besinnung einladen - der Stille des Ortes angemessen.

Artikel vom 30.10.2004