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Leitartikel
Schreibreform - der x-te Akt

Hat der Spuk
doch noch
ein Ende?


Von Rolf Dressler
Der Rubikon ist längst überschritten. Noch immer aber zieht die Karawane der Urheber und Rechthaber trotzig ihre Bahn. Das Rechtschreibchaos treibt Blüte auf Blüte. Neun quälend lange Jahre geht das nun schon so.
Ach, hätte der Spuk doch end- lich ein Ende. Land und Leute - jung und alt - würden es gerade all jenen Politikschaffenden danken, die ansonsten gern schmerzvoll hadern, weil das Bürger- und Wählervolk es an Zuspruch für die von ihm Gewählten allzu schmählich mangeln lässt.
Grotesk tief haben sich die Verursacher aller Parteifarben und deren »Expertenräte« in ein hanebüchenes Tohuwabohu verritten. Niemand weiß mehr wirklich ein noch aus.
Zahlreiche Länderchefs von CDU und CSU (und mit ihnen auch maßgebliche Freie Demokraten) würden offenbar lieber heute als morgen vor den eigenen kapitalen (Fehl-)Entscheidungen von gestern davonlaufen. Schon morgen könnte nach NRW und Bayern auch Niedersachsens CDU-Regierung die Notbremse ziehen und den torsoartigen Teilvollzug der sogenannten (oder der so genannten...) Rechtschreibreform über den Stichtag 1. August hinaus auf unbestimmte Zeit aussetzen.
Das beweist überdeutlich, dass die Politik selbst inzwischen sogar den Verschlimmbesserungsfähigkeiten der Expertenräte misstraut, deren naturgemäß befangene Mitglieder aufgefordert sind, sich selbst zu kontrollieren und zu überprüfen. An der Quadratur des Kreises sind aber schon ganz an- dere gescheitert.
Ohne Kopf durch die Wand - und nun auf demselben Wege wieder zurück? Inkompetente Kultusminister, weltferne Kämmerlein-Bürokraten und selbstherrliche Sprachkundler haben unsägliche Hampelmann-»Spielchen« ausgerechnet mit dem unschätzbar hohen Kulturgut deutsche Sprache veranstaltet. Diese Willkür bescherte uns bis dato drei sogenannte »offizielle« Rechtschreibungen, und eine vierte droht womöglich schon am Hoiizont herauf:
1. die Reformschreibung der inzwischen abgesetzten Rechtschreibkommission,
2. die Reform der Reformschreibung laut Rat für deutsche Rechtschreibung (letztendlicher Umfang völlig ungewiss) und
3. die herkömmliche Rechtschreibung, die von zahlreichen, Zeitschriften-, Buch- und Zeitungsverlagen beibehalten wurde.
SPD-Chef Franz Müntefering verspottet die Reformgegner, sprich: die klare Mehrheit des deutschen Volkes einschließlich der geistigen Elite als »hochwohlgeborene« Rückwärtsgewandte. Ihn und andere scheren demnach nennenswert weder die Nöte der Versuchskaninchen-Schüler noch die Wechselbäder der Lehrer.
Einer von ihnen, Hans-Jürgen Grosser aus Warburg, nennt die staatlich verfügte Rechtschreibreform ein »Machwerk wissenschaftlich verbrämter Hochstapelei«. Wahrlich, das passt.

Artikel vom 18.07.2005