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Verbotene Liebe bei Miele

NS-Zwangsarbeiter kehren nach 62 Jahren in Dalkestadt zurück

Von Michael Delker
Gütersloh (WB). In der NS-Diktatur war ihre Liebe verboten. Ein Zwangsarbeiter aus Holland und eine Zwangsarbeiterin aus der Ukraine durften keine Beziehung eingehen. Alexandra Surnina (83) und Willy Thomasson (85) setzten sich über alle Hürden hinweg. Bei Miele in Gütersloh haben sich die beiden im März 1943 kennen- und liebengelernt.

Nach 62 Jahren kehrte das Ehepaar gestern an den Ort zurück, der ihr weiteres Leben so stark beeinflussen sollte. Persönlich begrüßt von Miele-Geschäftsführer Horst Schübel trauten die beiden Niederländer ihren Augen kaum. »Miele ist nicht mehr wiederzuerkennen«, sagte Willy Thomasson (85).
Im Krieg stand Miele unter Zwangsverwaltung und musste Munitionsteile produzieren. 634 Zwangsarbeiter wurden vom Nazi-Regime nach Gütersloh beordert, die meisten davon waren Frauen aus der Ukraine. Wie die heute 83-jährige Alexandra Surnina, die an der Carl-Miele-Straße in einem Lager hinter hohen Stacheldraht-Zäunen untergebracht wurde. Hoffnung gab den jungen Frauen der Lagerleiter Josef Ossenbrink, der sie sehr menschlich behandelte. »Er war ein großartiger Mann«, erinnert sich Alexan-dra Surnina. Die gebürtige Ukrainerin besitzt noch heute ein Foto von ihm.
Alexandra Surnina kam im Herbst 1942 nach Gütersloh. Sie war 18 Jahre alt, als sie am 11. März 1943 in einer Gruppen von 23 Niederländern einen gut aussehenden jungen Mann erspähte: Willy Thomasson, der bei Miele erst als Schlosser und dann als Elektriker eingesetzt wurde. In den Niederlanden war der junge Mann zunächst abgetaucht. Weil er es im Untergrund nicht mehr aushielt, meldete er sich selbst zu dem gehassten Arbeitseinsatz. Willy Thomasson konnte nicht ahnen, dass ihm in Gütersloh die Liebe seines Lebens über den Weg laufen würde. Allerdings musste er auch einige Erniedrigungen ertragen. Einmal stand er am Stacheldrahtzaun des Frauenlagers, als plötzlich zwei SA-Leute von hinten auftauchten und ihn mit einem Gewehrkolben schlugen. »Was willst Du bei diesen Weibern?«, brüllten sie ihn an. »Drei Wochen konnte ich wegen der Schmerzen nicht laufen«, erinnert sich Willy Thomasson. Immer wieder geholfen hat dem jungen Paar der Lagerleiter.
Zweimal flüchtete Willy Thomasson aus Gütersloh. Einmal, um zu schauen, wie sich die Lage in Enschede darstellte. Beim zweiten Mal wollte er seine große Liebe zu sich holen. Das Okay hatte er sich zuvor von seinem Vater geholt. Im März 1945 war es dann soweit. An der Grenze wurden sie fast noch von umherfliegenden Kugeln getroffen. In Enschede tauchten sie zunächst unter und konnten erst am 23. November 1945 heiraten. Es fehlten die Papiere. Beide haben zwei Kinder und mittlerweile vier Enkel. Von Miele spricht das rüstige Paar noch heute mit Hochachtung: »Die Firma stellt gute Produkte her.«

Artikel vom 04.05.2007