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Erst Mathe, dann Feuer spucken

Auch Zirkuskinder müssen zur Schule -ÊBarbara Etienne macht's möglich

Von Marion Neesen (Text und Foto)
Delbrück (WV). Unterricht nur zweimal in der Woche, eine Lehrerin, die man beim Vornamen anreden darf, und die Schule rollt auch noch direkt vor die Haustür -Êdavon mag so mancher Schüler träumen. Für die Kinder vom Circus Trumpf, der derzeit in Delbrück auf Stratmanns Wiesen gastiert, ist das Alltag.

Doch ganz so »traumhaft« ist natürlich auch für Zirkuskinder der Schulalltag nicht. Hier wird genauso gebüffelt und gepaukt wie in einer normalen Schule auch. Da stehen Prozentrechnung und Diktat ebenso auf dem Stundenplan wie Lesen und ein bisschen Sport. Und weil die Lehrerin mit ihrer fahrenden Schule nur zweimal in der Woche kommt, gibt es natürlich umso mehr Hausaufgaben.
Seit gut einem Jahr ist Barbara Etienne (52) aus Gütersloh Lehrerin der »Schule für Circuskinder NRW« und unterrichtet seitdem die Sprösslinge der Zirkusfamilie Bichlmaier. Gino Bichlmaier ist mit 14 der älteste und wird sich bei der Abschlusstournee im nächsten Jahr auf seinen Hauptschulabschluss vorbereiten. Justin (7) und Marlon (8) nehmen den Stoff der ersten und zweiten Klasse durch und die beiden Mädchen Joeline (5) und Angel (4) sind in der Vorschule.
Rund 20 000 Kilometer ist die Pädagogin im vergangenen Jahr in ihrem zum Klassenzimmer umgebauten und von der Tafel bis zum Bücherregal voll ausgestatteten Wohnmobil dem Zirkus hinterhergereist. Für sie ein echter Traumjob. »Den möchte ich gerne bis zur Rente weiter ausüben«, schwärmt die 52-Jährige, die schon irgendwie zur Zirkusfamilie gehört. »Es ist schon eine Herausforderung, weil man praktisch immer eine 1:1 Situation hat. Man kann sich aber auch viel intensiver um die Schüler kümmern und der Draht zu den Eltern ist sowie viel kürzer als in einer normalen Schule«, sagt Barbara Etienne, die selbst einmal eine Clownausbildung gemacht, aber auch schon zehn Jahre als Biogärtnerin gearbeitet hat. Ihr Leben verlief bunt, wie der Alltag im Zirkus. Denn Schule ist für die Zirkuskinder natürlich nicht die Hauptsache. Sie alle sind in den Vorstellungen fest eingeplant und packen auch so kräftig mit an. Wenn Gino sich nicht mit Prüfungsstoff beschäftigt, mimt er den Feuerschlucker, balanciert Schwerter auf dem Kinn oder hilft beim Umbau. »Zirkuskinder zeigen ein sehr großes Pflichtbewusstsein, darin sind sie viel reifer als andere Kinder«, hat seine Lehrerin während der Zeit mit den Schülern vom Circus Trumpf erfahren. Im Unterricht müsse man schon mehr Geduld aufbringen, schließlich sei die Ablenkung für die Kinder sehr groß. »Zirkuskinder haben zu Hause eben ganz andere Rahmenbedingungen«, sagt Barbara Etienne. Dennoch sei es Ziel der Schule für Circuskinder in der Trägerschaft der Evangelischen Kirche im Rheinland, auch ihnen Bildungschancen zu eröffnen. Dies sei in der Vergangenheit sehr schwierig gewesen. Oft besuchten die Artistenkinder nur kurz die Schulen am jeweiligen Gastspielort, so dass zwangsläufig große Lücken entstanden. Diese aufzuarbeiten, könne nicht immer gelingen, so Etienne, doch »wir machen, was wir schaffen«. Und so stehen für Gino zwei Dinge fest: Er will seinen Abschluss schaffen und natürlich der Zirkuswelt treu bleiben.

Artikel vom 04.05.2007