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Die Franzosen sorgen sich
um ihre nationale Identität

Reformen, innere Sicherheit und Arbeitsplätze Themen im Wahlkampf

Von Friedhelm Peiter
Paris (WB). Frankreich steckt in der heißen Wahlkampfphase. Beim ersten Wahlgang am kommenden Sonntag gehen zwölf Bewerber um die Präsidentschaft ins Rennen.

Doch bei der Stichwahl am 6. Mai dürften der Kandidat der konservativen Regierungspartei UMP, Nicolas Sarkozy, und die Sozialistin Segolene Royal die Nachfolge von Präsident Jacques Chirac unter sich ausmachen, wenn man den Meinungsumfragen trauen darf. Doch auch dem katholischen Zentrumspolitiker Francois Bayrou, Chef der kleinen Partei UDF, und Jean-Marie Le Pen, langjähriger Vorsitzender der rechtsextremen Nationalen Front (FN), werden Chancen eingeräumt, die Stichwahl zu erreichen.
Wie schwer eine Vorhersage zu treffen ist, zeigt die Tatsache, dass noch eine Woche vor dem ersten Wahlgang etwa 40 Prozent der Wahlberechtigten noch nicht wussten, wem sie ihre Stimme geben sollen.
Mehrere Themenkomplexe stehen mittlerweile im Mittelpunkt des Wahlkampfs. Da sind die überfälligen Reformen im Gesundheits- und im Rentensystem sowie am Arbeitsmarkt sowie das schwache Wirtschaftswachstum. Hier spielt insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit eine Rolle. Dazu treibt die Franzosen zunehmend die Sorge um ihre nationale Identität um. Die Entwicklung der Europäischen Union und die EU-Verfassung spielen nur eine untergeordnete Rolle.
In Frankreich ist es schwierig, Reformen durchzusetzen, denn die Betroffenen verteidigen ihre Privilegien in aller Regel mit großem Nachdruck. In den vergangenen 20 Jahren haben zahllose Regierungen versucht, das Rentensystem, den Bildungssektor oder den öffentlichen Dienst zu reformieren. Ihre Bemühungen scheiterten jedoch immer wieder am Widerstand gut organisierter Gewerkschaften, die die Regierungen mit Massenprotesten stoppten. So scheiterte Ministerpräsident Dominique de Villepin im vergangenen Jahr mit seinem Plan, mit einer Lockerung des Kündigungsschutzes jungen Menschen den Berufseinstieg zu erleichtern.
Dass viel zu tun ist, wissen die Franzosen. Frankreich hatte im Februar die höchste Arbeitslosenrate in der Euro-Zone, 2006 eine der schwächsten Wachstumsraten in Europa und ein Rekord-Handelsdefizit.
Sowohl Nicolas Sarkozy wie auch Segolene Royal wollen mit milliardenschweren Programmen Arbeitsplätze schaffen und das Wachstum ankurbeln. Finanzexperten halten beide Programme für nicht finanzierbar. Ihren Schätzungen zufolge würden die Kosten jeweils zwischen 30 und 40 Milliarden Euro liegen. Damit würde Frankreich wieder den Euro-Stabilitätspakt verletzen.
Wie der frühere Staatspräsident Charles de Gaulle haben die meisten Franzosen eine bestimmte Idee von Frankreich, der »grande nation«. Das Frankreich, das sie heute erleben, stimmt damit nicht mehr überein. Schon zwei Mal haben die Franzosen gezeigt, wie enorm wichtig ihnen die Frage ihrer eigenen Identität ist. Hier spielen mehrere Aspekte eine Rolle. 2002 brachten 17 Prozent der Franzosen den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl, um ihrer Angst vor einer Überfremdung des Landes Ausdruck zu geben. 2005 lehnten die Franzosen die EU-Verfassung aus ihrer tief sitzenden Furcht vor Globalisierung und einem zu großen Verlust an Souveränität ab. Die Franzosen suchen sichere Werte und Positionen bei der Integration, der inneren Sicherheit und in der Wirtschaft.
1998, als die Söhne weißer Franzosen, nordafrikanischer und schwarzafrikanischer Einwanderer als Fußball-Weltmeister umjubelt wurden, glaubten viele Franzosen, dass die Einwandererkinder endlich in Frankreich akzeptiert seien. Doch das erwies sich als Trugschluss. Noch immer gibt es das so genannte »neue Frankreich« mit den Problemvierteln der Großstädte und das »alte Frankreich«. Nicolas Sarkozy, der bisher mit hartem Durchgreifen gegen arbeitslose, rebellierende dunkelhäutige Jugendliche in den Vorstädten punktete, will sich nun mit einem Ministerium für nationale Identität auch um diese Menschen intensiv kümmern, die sich mit dem alten, weißen Frankreich nicht identifizieren können.
Seine sozialistische Kontrahentin Royal will nicht nur mit einem groß angelegten Beschäftigungsprogramm um die Stimmen dieser jungen Leute kämpfen. Sie geht auch mit dem Argument ins Rennen, dass für diese Gruppe unter Sarkozy nichts besser würde.
Bei aller Unsicherheit über die Wahlprognosen kommt hinzu, dass sich so viele Einwanderer wie noch nie in die Wählerlisten eintragen. Über deren Verhalten ist nur wenig bekannt. Wenngleich die Arbeitslosigkeit deren größtes Problem ist, glauben Meinungsforscher, dass insbesondere die Wahlentscheidung der jüngeren von einem bestimmt wird: Nicolas Sarkozys Law-and-order-Politik verhindern. Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 18.04.2007