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Klimawandel bedroht
die Lebensgrundlagen

Bislang dramatischste Warnung der Vereinten Nationen

Brüssel/Berlin (dpa). Der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlagen von Milliarden von Menschen. Treffen werde er vor allem die Ärmsten und Schwächsten, heißt es in der bislang dramatischsten Warnung der Vereinten Nationen vor den Folgen der Erderwärmung.

Fachleute aus 130 Ländern hatten den alarmierenden zweiten Teil des UN-Klimaberichts am Freitag in Brüssel nach zermürbendem und zum Teil nächtelangem Ringen verabschiedet. Der Vorsitzende des Weltklimarats (IPCC), Rajendra K. Pachauri, warnte vor Ernteeinbrüchen, Überschwemmungen und Artensterben. Auch für Deutschland und Europa werden große Schäden erwartet.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte schnelles und entschiedenes Handeln der internationalen Gemeinschaft, um den Temperaturanstieg zu begrenzen.
Der stellvertretende Versammlungsleiter in Brüssel, Martin Parry, sagte, »die Folgen werden alle Kontinente zu spüren bekommen«. Allein in den Mündungsdeltas asiatischer Flüsse - wie in Bangladesch - werde der Anstieg des Meeresspiegels eine Milliarden-Bevölkerung treffen. Kleine Inseln und ganze Landstriche könnten von der Landkarte verschwinden. Mindestens ein Fünftel aller Tier- und Pflanzenarten sind den Forschern zufolge vom Aussterben bedroht. Besonders gefährdet seien die Mittelmeerregion, die Pole und Gebiete südlich der Sahara.
Für Deutschland erwartet Prof. Wolfgang Cramer vom Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung, dass Krankheiten wie von Zecken ausgelöste Hirnhautentzündungen zunehmen. Ostdeutschland müsse sich auf trockenere Sommer und mehr Niederschläge im Winter einstellen. »Das heißt, Dürre und Hochwasserrisiko am selben Ort im selben Jahr«, sagte Cramer, der an den Beratungen teilnahm und am Report mitgearbeitet hatte. Dies werde sich auch negativ auf Land- und Forstwirtschaft auswirken. Der Anstieg des Meeresspiegels gefährde Menschen an den Küsten.
Regierungsvertreter und Wissenschaftler hatten seit Montag in Brüssel darum gerungen, wie die auf 1500 Seiten dargelegten wissenschaftlichen Klima-Erkenntnisse auf eine etwa 20-seitige »Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger« verkürzt werden können. Der Report soll die Auswirkungen des Klimawandels auf die einzelnen Regionen der Erde zeigen. Dabei schwächten mehrere Staaten - wie die großen Luftverschmutzer USA, Russland und China sowie Saudi-Arabien - den Bericht nach Angaben von Verhandlungsteilnehmern ab. Pachauri sprach dennoch von einem »guten Ergebnis«.
»Fluten, Wirbelstürme, Dürre- und Hitzeperioden werden immer mehr Menschen gefährden«, sagte Parry. Ohnehin schon wasserarme Regionen in Afrika könnten vollends verdorren. »Auch Unterernährung wird zu einem immer größeren Problem.« Letztlich müssten sich Milliarden von Menschen neue Lebensräume suchen. Arme Länder seien vom Klimawandel besonders betroffen, da sich die Menschen dort gegen die Folgen nicht schützen könnten. Die reicheren Staaten müssten diesen Menschen helfen, sagte Parry. Zudem müsse der Ausstoß klimaschädlicher Emissionen drastisch reduziert werden.
»Der Bericht ist ein klares Signal an die Politik, zu handeln«, sagte der Geschäftsführer des UN-Klimasekretariats (UNFCCC), Yvo de Boer. Die Regierungschefs müssten sich auf verbindliche Vorgaben zum Klimaschutz einigen und nun ein Nachfolge-Abkommen für das Kyoto-Protokoll verabschieden.
Stephan Singer, Klimaexperte der Umweltstiftung WWF Europa, sagte, die Auswirkungen des Klimawandels seien viel drastischer als vor einigen Jahren erwartet. »Die weltweite Landkarte muss umgezeichnet werden.« Eine Erwärmung um ein bis zwei Grad führe zu einem Meeresspiegelanstieg um vier bis sechs Meter. »Dann sind Städte wie New York, Amsterdam und Tokio dem Untergang geweiht.« Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet mit gesundheitlichen Klimawandelfolgen für Millionen Menschen weltweit.

Artikel vom 10.04.2007