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Feiertagsausflug in
eine fremde Stadt

590 Postkarten zeigen das »alte« Gütersloh

Von Stephan Rechlin
Gütersloh (WB). Klaus Wachsmuth (68) lädt zu einem Osterspaziergang ein. Zu einem Spaziergang durch das historische Gütersloh. Ein Spaziergang, der am besten nur zu Osterfesten unternommen werden sollte. Denn jeder, der die Postkarten aus Alt-Gütersloh betrachtet, muss wissen, dass der Herr einst auch für die Sünden von Stadtplanern gestorben ist. Das stimmt milder.

Nach einer äußerst erfolgreichen Ausstellung im Jahre 1996 berieten die Mitglieder des Philatelistenvereins Gütersloh, was mit den Überschüssen geschehen sollte. Beschluss: Es werden historische Postkarten mit Gütersloher Motiven gesammelt. Mitglieder spendeten, kauften, ersteigerten. Als Wachsmuth die Bestandspflege vor fünf Jahren übertragen wurde, zählte die Sammlung 234 Motive. Heute sind es 590, verteilt auf sieben Ordner und ohne das halbe Dutzend Karten, das noch nicht registriert auf der Kommode im Arbeitszimmer liegt.
Es sind Bilder einer fremden Stadt. Zum Glück gibt es Kirchtürme. An ihnen kann man erahnen, dass es sich um Gütersloh handelt. Zum Beispiel auf der leicht kolorierten Karte, die den Stempel des Jahres 1906 trägt. Es zeigt die mittlere Berliner Straße. Kein »Subway«, kein »H&M«, kein »Phone House«, kein »Street One«. Statt dessen sind die Läden des Schuhmachers Eberlein, des Schreibwarenhändlers Fricke und des Uhrmachermeisters Laumann zu sehen. Auf den Plastersteinen stehen Pferdekarren, ein Kind wird in einem Bollerwagen gezogen. Im Hintergrund der Turm der Martin-Luther-Kirche, die damals »Auferstehungskirche« hieß.
Schmerzhaft sind die Motive vom Berliner Platz. Die stets zu Weihnachten gewünschte Heimeligkeit, es hat sie mal gegeben. Als das alte Rathaus noch stand, als »Douglas« noch Feinkost Müller hieß, als »Karstadt« noch das »Hamburger Engros Lager Laura Wolff« war. Keine noch so ausgezeichnete Fassade kann wiederherstellen, was mit dem Abriss des Lagers 1962 verloren ging. Das Gütersloher Datum der Erbsünde aber lautet 4. Oktober 1971. An jenem Tag begann der Abriss des alten Rathauses.
Allerdings lag es nicht nur an den Stadtplanern. Wie es in Güterslohs ältestem Stadtteil einmal ausgesehen hat, zeigt eine Karte der Apostelkirche aus dem Jahre 1921. Sie wurde am 26. November 1944 von alliierten Bombern zerstört. Das Umfeld litt mit.
Doch was Bomber zerstörten, ließ sich mit enormer Mühe immerhin wieder aufbauen. Solch eine Chance gewährten die Gütersloher Stadtplaner nicht. Eine Aufnahme aus dem Jahre 1906 zeigt die Busch- und Wallstraße. Die KochÕsche Apotheke links im Bild lässt ahnen, wo das gewesen sein könnte. Das ist der Rathausplatz! Wo es damals die Wirtschaft Barkey gab, die Samen- und Blumenhandlung Ludwig Witte, kuschelige Wohnhäuser, schmales Kopfsteinpflaster, da gibt es heute - eine Betonfläche. Und ein Gütersloher Rathaus, das die Plattenbauweise der DDR vorwegnahm. Die Debatten, den Rathausplatz neu zu bebauen, rufen bei Klaus Wachsmuth nur ein bitteres Lächeln hervor: »Solche städtebaulichen Sünden sind auch in anderen Städten passiert. Aber diese hier schmerzen besonders.«
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Artikel vom 06.04.2007