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»Zum Siegen
ist man doch
nie zu alt«

Freudenau (65) zur Rallye San Remo

Von Jörg Manthey
Bielefeld (WB). Eigentlich hatte Hans-Erich Freudenau aus familiären Gründen seine Vollgas-Karriere längst an den berühmten Nagel gehängt. Die Ennstal-Rallye im Jahr 2003 sollte nach 31 aktiven Jahren die letzte Veranstaltung des dreimaligen Gaumeisters des ADAC Westfalen-Ost (1972, 1978, 1982) gewesen sein. Doch die »absolute Abstinenz« hat ein jähes Ende gefunden - es »juckt« wieder bei dem 65-jährigen Jöllenbecker!

Als Beifahrer von Dr. Gerd Sonntag (Gütersloh) nimmt Freudenau ab morgen an der 22. Rallye San Remo Storico in Italien teil, dem zweiten von insgesamt zwölf Läufen zur Europameisterschaft für historische Autos.
Für Freudenau (»Wenn du einmal vom Bazillus befallen bist, lässt er dich nicht mehr los«) ist das Gastspiel an den ligurischen Seealpen tatsächlich noch eine Premiere. »1982 war mein erfolgreichstes Jahr,« denkt der Jürmker gerne an den Klassensieg und zweiten Rang im Gesamtklassement bei der Westdeutschen ADAC-Trophy zurück. »Damals habe ich den Sport fast professionell betrieben, samt täglichen Waldläufen und Fitnesstraining.«
Sonntag pilotiert bei dem bedeutenden, prestigereichen Ereignis in San Remo einen Mitsubishi Lancer, Baujahr 1981. Mithin eher einen Youngtimer, der der Wagenschmiede aus Stuttgart-Zuffenhausen zu trotzen versucht. Denn wie meistens in der »Szene« dürften auch in San Remo Autos vom Typ 911 vorne zu finden sein.
Der Start erfolgt am Freitag (13 Uhr) auf dem Piazzale Carlo Dapporto. Die Aufgabe des cleveren Pfadfinders auf dem rechten Sitz wird sein, dem Fahrer bei hoher Geschwindigkeit den exakten Streckenverlauf anzusagen. »Das ist ein halber Singsang. Daher kommt auch der Name Gebetbuch,« erläutert Freudenau ein wichtiges Detail. Im »Gebetbuch« wird unter anderem jede Kurve je nach Biegung mit einer Ziffer zwischen 1 (sehr langsam) und 5 (sehr schnell) beschrieben. Aus eigener Erfahrung weiß er um die Wichtigkeit seines stressigen Parts. »Man muss dabei sehr sensibel sein und sich in den Fahrer hineindenken können. Rallye ist Vertrauenssache. Wenn ich was Verkehrtes sage, geht es schief.«
Sieben enge Spezialprüfungen, zusammen etwa 150 kurvenreiche Kilometer, stehen auf dem Programm der insgesamt 320 Kilometer langen Rallye im Hinterland der sonnenverwöhnten Stadt an der Mittelmeerküste - und da tickt dann die Uhr.
Der Kurs führt am Freitag unter anderem über den berüchtigten Monte Ceppo. Im vergangenen Jahr musste dort, am höchsten Punkt der Rallye, eine Schneise durch meterhohe Schneeverwehungen geschaufelt werden. Am Samstag (Beginn: 8.30 Uhr) folgen fünf weitere Wertungsprüfungen). »Der Rallyesport ist so wie der Zehnkampf in der Leichtathetik. Asphalt, Schotter, Sand; das Auto reagiert jedes Mal anders,« merkt der »Co« aus Jöllenbeck an.
Wenn die Premiere klappt, will das Duo Sonntag/Freudenau bis zur EM-Schlussveranstaltung, der Rallye du Var in Frankreich (23.-25.11.), die gesamte Europameisterschaft bestreiten. Die führt die Fahrer unter anderem nach Griechenland (1.-6.5.), Belgien (22.-24.6.), Finnland (10./11.8), Tschechien (7.-9.9.) oder Österreich (19.-21.10.). »Wir werden wohl drei Veranstaltungen brauchen, bis wir aufeinander eingespielt sind,« meint der Jöllenbecker, der an Ehrgeiz nichts eingebüßt hat. »Wenn wir in unserer Klasse unter die ersten drei kommen sollten, wäre das eine tolle Sache. Aber auch zum Siegen ist man doch nie zu alt,« meint der Senior Augen zwinkernd. Die Preisverleihung erfolgt am späten Samstagabend im Hotel Royal. Apropos: »Seit ich Rentner bin, fange ich richtig an zu leben.«
In der Regel müssen Leute, die sich dieser Form des Motorsportvergnügens widmen, nicht jeden Cent zweimal umdrehen. So wird im gediegenen Ambiente von San Remo ein Hauch Mondänität nicht fehlen. Die drei OWL-Teams - dazu zählen noch die Paarungen Fölling/Knöbel aus Rheda-Wiedenbrück) sowie der Verler Europameister Wolfgang Pfeiffer mit Röver (Bad Oeynhausen) - beziehen in dem als »Perle der Blumenriviera« bekannten Badeort Quartier im Hotel Villa La Brise.
Derweil seine Mitstreiter längst in San Remo weilten, setzte sich Freudenau - Vereinsmitglied beim MTV Bielefeld und AC Herringhausen - erst am Dienstagmorgen um 6.25 Uhr in Dortmund in den Flieger. Tags zuvor musste er nämlich noch ein letztes Mal die Strecke der 67. Internationalen ADAC-Westfalen-Lippe-Fahrt »Klassik« abfahren. Dort ist der Funktionär, der unter anderem schon mit der Gau-Ehrennadel in Silber und der Ewald-Kroth-Medaille Gold mit Kranz ausgezeichnet worden ist, in der Organisation mit tätig. Die tourensportliche Oldtimerfahrt über 220 Kilometer startet am 21. April in Hiddenhausen-Sundern. Die erste Etappe führt in den Schlosspark von Bad Salzuflen-Schötmar.
»Rallyesportler im besonderen haben einen langen Nagel quer durch den Kopf,« definiert Hans-Erich Freudenau schmunzelnd seine besondere »Spezies« - sich inbegriffen. »Ein bekannter Fahrer hat mal gesagt: Um Rallyes zu fahren, musst du nicht unbedingt verrückt sein, aber es hilft ungemein. Da ist was dran.«

Artikel vom 12.04.2007