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Vom Leben gezeichnet
und vom Sohn gemalt

WB-Serie zu Böckstiegel-Bildern - 2. Teil


Werther (WB). Drei weibliche Figuren erkennen wir auf dem Gemälde »Tante König und meine Mutter«. Neben den Genannten ist in der rechten oberen Bildecke noch ein Mädchenkopf zu erkennen. Kompositorischer Mittelpunkt ist jedoch die in schwarzer Witwentracht gegen die warmen Rottöne des Hintergrunds herausgehobene Figur der »Tante König«.
Im ersten Moment nicht unbedingt attraktiv, hatte sie doch bereits als Jugendliche ein Auge verloren und ist nun im Greisenalter mit zahnlosem Mund und gichtknotigen Fingern dargestellt. Doch wird ihre große physische Präsenz deutlich, die Böckstiegel selbst folgendermaßen beschrieb: »Tante König, die Schwester meiner Mutter, war eine köstliche Erzählerin. Herrlich war es, wenn die Zeit ihrer Jugend, das Leben als Magd bei den Bauern abgesponnen wurde. (...) Alles war so echt, so lebenswarm, was ihrem nimmermüden Mund und Geist entquoll. Das Gesicht leuchtete, das Blut dieser bald achtzigjährigen Frau pulsierte dampfend, die Gebärde der so abgerackerten Hände verstärkten das Wort und rundeten es. Sie konnte gleichzeitig lachen und weinen. (...) Mein Vater sah Tante König gern ins Haus kommen und hörte mit Begeisterung ihren Erzählungen zu. Es war immer ein Fest. Dann war die Bauernstube angefüllt und dampfender Schaffensquell entlud sich.«
Neben der aktiven, selbstbewussten Greisin, die dem Maler direkt mit ihrem einzigen Auge anzublicken scheint, wirkt Böckstiegels Mutter introvertierter, nachdenklicher, gebeugter. Das Mädchen im Hintergrund, das mit ihrer schwarzen Haube den Kopftrachten der erwachsenen Frauen angenähert wirkt, erscheint vergleichsweise maskenhaft, leblos und starr. Böckstiegel, der schon während seines Akademiestudiums in Dresdner Altenheimen zeichnete, war fasziniert von den Spuren des Lebens in den Gesichtern der Alten. Das Gesicht des jungen Mädchens wirkt dagegen beinahe puppenhaft unecht.

Artikel vom 24.03.2007