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»Nur Patienten-Protest kann uns noch retten«

Ärzte über »Heilmittel-Entzug« und Gesundheitskarte

Borgholzhausen (mapu). Noch bis Freitag läuft die bundesweite Ärzte-Protestwoche gegen die Gesundheitsreform. Statt ihre Praxen zu schließen, klären die Piumer Mediziner ihre Patienten aber lieber auf. Die Ärzte schilderten gestern aus ihrer Sicht, weshalb kaum noch Massagen verschrieben werden und was mit der elektronischen Gesundheitskarte auf die Deutschen zukommt.
»Wer Massagen oder Krankengymnastik verschrieben haben möchte, geht immer häufiger leer aus und fragt uns: Warum eigentlich?« Michael Gödeke, Arzt für Innere Medizin, ärgert sich, dass ihm die Hände gebunden seien. Er könne diese so genannten Heilmittel zwar beliebig verschreiben - »doch dann habe ich Regressforderungen am Hals«. Wie im Moment: Der Gemeinschaftspraxis in der Freistraße, die Gödeke mit Dr. Hans Scheller betreibt, liege eine gesetzliche Zahlungsforderung im fünfstelligen Euro-Bereich vor, weil das Ärzte-Duo laut der »Heilmittelverordnung« im Jahr 2003 um 40 Prozent über dem Verschreibungsdurchschnitt lag, der in Westfalen-Lippe herrscht.
Das Fatale: »Kein Arzt weiß, wieviel er derzeit verschreiben darf, weil er besagten Durchschnittswert erst zwei Jahre später erfährt«, erläutert Scheller. Das Verschreiben von Heilmitteln gleiche daher einem Blindflug, der zwangsläufig zu Lasten des Patienten gehe. »Als Arzt kann ich es mir nämlich nicht leisten, zur Zahlung horrender Summen verdonnert zu werden.« Hiesige Ärzte könnten ihren Patienten im Grunde nur empfehlen, einen Kollegen in Baden-Württemberg aufzusuchen, wie Dr. Ulrich Tiwisina zynisch anmerkt: »Dort dürfen die Ärzte doppelt so viel verschreiben, weil in diesem Bundesland der Durchschnitt höher liegt.«
Ein weiteres Problem komme mit der elektronischen Gesundheitskarte auf die Patienten zu. Allgemeinmedizinerin Barbara Peters skizziert ein düsteres Szenario: »Diese Karte sammelt alle intimen Gesundheitsdaten bundesweit auf einem zentralen Rechner. Damit ist Daten-Missbrauch ganz sicher vorprogrammiert, denn die Praxen können nicht mehr über ihre Patienten wachen.« Michael Gödeke sieht kritisch, dass die Karte das Rezept in Papierform komplett ersetzen soll: »Rezepte können zudem nur darauf gespeichert werden, wenn eine Verbindung zur Zentrale hergestellt wird. Doch was ist beim Hausbesuch auf dem Lande, wo es keine Funkverbindung gibt?«
Die Ärzte setzen darauf, dass die Gesundheitskarte in der Bevölkerung auf Widerstand trifft: »Nur der Protest der Patienten kann uns davor retten«, hofft Hans Scheller, dass auch die Piumer Bürger sich wehren - am besten noch, bevor die Karte 2008 eingeführt wird.

Artikel vom 21.03.2007