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Kampf gegen schroffen Schulhof-Slang

»Bethel on tour« wirbt in Realschule für Toleranz: Was »behindert« eigentlich bedeutet

Halle (mapu). Knallhart: »Ey du Spasti, bist du behindert?« Doch derartige Äußerungen sind täglich auf deutschen Schulhöfen zu hören - auch in Halle. Die Realschule behandelt diese Problematik auf besondere Weise: Sie bekämpft das vulgäre Vokabular, das zu Lasten behinderter Menschen geht, als eine von zehn ostwestfälischen Schulen mit »Bethel on tour«, dem mobilen Aufklärungsprogramm der Bielefelder von Bodelschwingh'schen Anstalten.

Seit einem Jahr reist Projektleiter Lars Kozian durch Ostwestfalen, um mit der diakonischen Philosophie Bethels an weiterführenden Schulen für Toleranz allen Menschen gegenüber zu werben. Die Realschule gehörte im vergangenen Jahr bereits zu fünf Schulen, die an der Premiere von »Bethel on tour« teilnahmen. »Eine ungemein wichtige Sache«, wie Philosophie-Lehrer Ralf Grumke findet. Denn während der Pausenaufsicht würde auch er immer wieder Gespräche aufschnappen, in denen sich Schüler gegenseitig als »behindert« bezeichnen - um nur eine Ausdrucksform hervorzuheben.
Die wahre Bedeutung des Begriffs sei jedoch mittlerweile längst abhanden gekommen. »Dieser schroffe Umgangston hat sich unter Jugendlichen schlichtweg eingebürgert. Sie übernehmen diese Redensweisen einfach von anderen und benutzen sie oftmals sicher sogar ohne böse Hintergedanken«, berichtet Grumke aus seinen täglichen Erfahrungen als Lehrer. Um so wichtiger sei es, den Schülern vor Augen zu führen, dass sich beispielsweise die primitive Formulierung »Spasti« auf eine Erkrankung bezieht, die für Betroffene eine gravierende Einschränkung ihres Lebens bedeutet.
Hier setzt Lars Kozian an, der heute seinen letzten von drei Projekttagen in der Realschule verbringt. Im Fokus seiner Aufklärungsarbeit stehen insbesondere die achten Klassen. Unter dem Titel »Anders sein« versucht der Bethel-Referent, Vorurteilen und der Diskriminierung behinderter Menschen vorzubeugen. Dies geschieht auf praktische Weise, weshalb ein Rollstuhl im Unterricht nicht fehlen darf. Wer darin selber einmal Platz nimmt, sei der Loyalität gegenüber Behinderten schon einen beträchtlichen Schritt näher.
Lehrer Ralf Grumke ist jedenfalls dankbar für das kostenlose Angebot: »Ich bin in meinen Philosophie- und Religionsstunden immer bemüht, Werte wie Solidarität und Toleranz zu vermitteln. Da ist ÝBethel on tourÜ eine große Unterstützung«, habe der Pädagoge auf dem Schulhof inzwischen ein spürbar kultiviertes Gesprächsklima erfahren: »Viele Schüler machen sich mehr Gedanken, was sie da eigentlich herausposaunen.«
»Bethel on tour« hilft jedoch auch bei der Berufsfindung und stellt Jobs des Diakoniewesens vor. Mit Jonte Weiland war gestern bei den Neuntklässlern ein junger Mann zu Gast, der als Einstieg ins journalistische Berufsleben ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) als Radio-Reporter des Haussenders »Antenne Bethel« wählte. In der Jahrgangsstufe zehn ging Referent Lars Kozian das Thema Diskrimierung hingegen auf einem höheren Bildungsniveau an, indem er über Euthanasie, Eugenik und die Judenfrage im Dritten Reich aufklärte.

Artikel vom 20.03.2007