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Insel Nagare dient als Teststrecke

Firmen stellen neue Autos und Kleidung zuerst in »Second Life« vor

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Längst hat die Wirtschaft »Second Life« entdeckt und ihre Chance erkannt, in einem interessanten Umfeld zu werben. Der japanische Autobauer Mazda kaufte die Insel »Nagare« und ließ dort das neue Konzeptfahrzeug Hakaze über den Strand rollen.
Verschmelzen mit der künstlichen Welt: Auf dem Gesicht eines Internet-Nutzers tanzen Avatare. Mehr als vier Millionen Menschen haben sich weltweit bei »Second Life« angemeldet.

Internetsurfer konnten virtuelle Testfahrten unternehmen, und wer den Hakaze nach einem schwierigen Sprung heil aufsetzte, gewann das Auto: das virtuelle, nicht das aus Stahl und Chrom, versteht sich. Auch im »anderen« Leben machen sich die Automobilkonzerne Konkurrenz. DaimlerChrysler eröffnete im Februar eine virtuelle Mercedes-Benz-Niederlassung und betreibt dort eine Teststrecke, auf der Autos im Computer ausprobiert werden können.
»Second Life« bildet die kapitalistische Gesellschaft ab, sie ist die 1:1-Übertragung ins Internet. Adidas stellt neue Sportartikel-Kollektionen zuerst in »Second Life« vor, um zu testen, was am besten ankommt. Die Firma aus Herzogenaurach verkaufte bislang 23 000 virtuelle Schuhe und nahm damit 1,15 Millionen Linden-Dollar ein. Nicht nur Mazda, Adidas oder Dell machen in der künstlichen Welt Reklame für sich: der Axel-Springer-Verlag gibt eine eigene Zeitung (»AvaStar«) für »Second Life« heraus - mit aktuellen Meldungen über das Geschehen im Mausklick-Paralleluniversum wie zum Beispiel Galerie-Eröffnungen. »Die Unternehmen dringen dort mit ihrer Werbebotschaft leichter durch als in der realen Welt«, sagt Florian Koch vom Verband für neue Medien, Telekommunikation und Internet BITKOM. »Second Life« ist sogar zum Unterrichtsstoff geworden. Die Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld bot ihren Studenten ein Seminar an und forderte sie gleichzeitig auf, einen virtuellen Campus im Internet anzulegen. Das dreistöckige Pixelgebäude mit virtuellem Seminarraum wurde mit einem Feuerwerk eröffnet und kann jederzeit unter der Adresse »Silberkueste 132, 227, 27« besucht werden.
»Das dreidimensionale Online-Spiel Second Life ist das Internet der Zukunft«, glaubt André Seeba. Der 30-jährige Pädagogik-Student aus Bielefeld hat im Januar mit einem Freund den deutschsprachigen Marktplatz www.SLMarket.de programmiert. Hier können Bewohner von »Second Life« kostenlos Produkte und Dienstleistungen für die virtuelle Welt anbieten. Autos, Kleidung, Schmuck, Schuhe: alles kann gekauft werden, um den Avatar aus der Masse heraus zu heben. Der virtuelle Ferrari kostet weniger als der echte und wird erschwinglich. Der Autohändler bekommt Linden-Dollar und tauscht sie in echte US-Dollar ein.
»Viele interessiert Second Life, weil sie glauben, dort richtig Geld machen zu können«, weiß Seeba. Von Ausnahmen abgesehen, könne aber niemand von den Geschäften im wirklichen Leben existieren. »Mehr als ein netter Zuverdienst ist es nicht«, betont Seeba. Auf seiner Seite bietet ein Mann seine Kreativität als Second-Life-Architekt an, ein anderer möchte als Plakat-Gestalter für Läden in der Parallelwelt tätig werden. Zu den Glückspilzen, die dank »Second Life« im wirklichen Leben Millionärin wurden, zählt die Deutsch-Chinesin Ailin Gräf. Ihr Avatar Anshe Chung hat sich zu einer gut verdienenden Grundstücksmaklerin hoch gearbeitet. Nach Angaben von Linden Lab verdienen 20 000 Bewohner von »Second Life« mit Geschäften im Internet mehr als sie dafür investieren.

Artikel vom 15.03.2007