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Muskelkraft ist nicht mehr notwendig

Das Steinhagener Bahn-Stellwerk ist ein »Ein-Mann-Betrieb« - Alte Technik hat ausgedient

Von Friederike Niemeyer
Steinhagen (WB). »Sie müssen dann in Minden umsteigenÉ« Ein Klingeln ertönt, und Fahrdienstleiter Rainer Plappert muss sein Beratungsgespräch am Fahrkartenschalter des Steinhagener Bahnhofs unterbrechen. Der »Haller Willem« aus Halle kündigt sich an. Und für die sichere An- und Abfahrt der Züge zu sorgen, das hat für den Eisenbahner höchste Priorität.

Für Rainer Plappert, seit 40 Jahren bei der Bahn, ist es gerade diese Kombination von Fahrtenkontrolle und Kartenverkauf, die seine Stelle reizvoll macht. Es gibt viele Stammkunden, die ihre Fahrkarte persönlich kaufen, auch wenn natürlich ein Automat zur Verfügung steht. Gerade Ältere sind es, oder auch Schüler, die ihre Monatskarte dort am Bahnhofsschalter lösen. »Wir haben allerdings nur noch die einfache, entwertete Fahrkarte zu bieten«, sagt der 55-Jährige, der in Enger wohnt und bald 30 Jahre in Steinhagen Dienst tut. In seiner kleinen Dienststube nur zwischen Schalter, Schreibtisch und Tür bewegt sich Rainer Plappert während seiner Schicht hin und her. Bei 70 passierenden Zügen pro Tag, sind es immer wieder dieselben Abläufe, die minutiös überwacht werden müssen. Und gerade weil die Abläufe so eintönig sind, ist volle Konzentration gefordert, kein Radio, keine Musik erlaubt. »Herr Plappert steht für die Sicherheit des Betriebs mit seiner Person gerade«, betont sein Chef, der Leiter des Regionalnetzes Lipperland-Senne, Thomas Johann.
Schon das Bimmeln des Telefones auf dem Schreibtisch von Rainer Plappert zeigt, dass die Technik vor Ort in die Jahre gekommen ist. Die Meldungen der anfahrenden Züge kommen über ein eigenständiges Telefonnetz ins Stellwerk. Und weil das Endgerät netzstromunabhängig ist, muss Rainer Plappert vor dem Sprechen noch einige Male die Handkurbel drehen. Der Fahrdienstleiter kontrolliert über seine Anzeigentafel, dass wirklich nur ein Zug pro Streckenabschnitt fährt. Er löst auch die Automatik zum Schließen der Schranken aus. Und natürlich hat der 55-Jährige auch ein Auge darauf, dass der Zug problemlos hält und startet. Jede Handlung, im Regel- wie im Störfall, muss der Fahrdienstleiter zudem schriftlich festhalten. Per Hand im Zugmeldebuch. Das wird zehn Jahre lang aufgehoben.
Früher musste der Steinhagener Fahrdienstleiter noch körperliche Fitness mitbringen. Da wurden die acht Weichen im heimischen Streckenabschnitt per Muskelkraft gestellt - heute gibt es ja keinen Güterverkehr mehr, und die nächste »Gleis-Kreuzung« ist in Halle. Die imposanten Weichenstellhebel, inklusive aufwendiger Sicherheitsmechanik, werden nur noch einmal wöchentlich zu Wartungszwecken bedient. Doch diese gesamte Technik der »guten alten Bahn« wird bald Vergangenheit sein. Wie Thomas Johann erläutert, sollen die Stellwerke entlang der Haller-Willem-Strecke auf Elektronik umgestellt werden. Bis 2010 soll es soweit sein. Die DB Netz AG will ihren Kunden, also beispielsweise der NordWestBahn, die Strecke noch effizienter zur Verfügung stellen. Doch damit heißt es auch Abschied nehmen für den Fahrdienstleiter: Steinhagen, als letztes »bemanntes« Stellwerk neben Halle entlang des »Haller Willem« läuft dann vollautomatisch.

Artikel vom 09.03.2007