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Wenn ich nicht mehr entscheiden kann

Mit Patientenverfügung den eigenen Willen zum Sterben festhalten

Von Friederike Niemeyer
Steinhagen (WB). Ein echter Albtraum: Ein Unfall reißt einen Menschen aus seinem Leben, raubt ihm das Bewusstsein und lässt ihn - ans Bett gefesselt und durch Maschinen beatmet und ernährt -Êauf unbestimmte Zeit vor sich hinvegetieren. Ein schlimmes Schicksal. Doch mit Hilfe einer Patientenverfügung kann jeder für diesen Fall zumindest seinen Willen festhalten, sagt Hartmut Winkler.

Der 54-Jährige, der sich auch intensiv juristisch mit dem Thema befasst hat, berät auch heute (15 bis 16 Uhr, im Familienzentrum, % 0 52 04 / 88 82 13) im Rahmen der Sprechstunde der Hospizgruppe zum Thema Patientenverfügung. »Das Koma- oder Wachkoma-Beispiel ist zwar hart, aber es verdeutlicht in den Beratungsgesprächen sofort, worum es geht, wenn ich eine Patientenverfügung aufsetze«, sagt Hartmut Winkler. Denn, so die Erfahrung des langjährigen Pflegedienstleiters und jetzigen Fall-Managers im Johanneskrankenhaus Bielefeld, die meisten Menschen wollen durch Apparate-Medizin nicht sinnlos am Leben erhalten werden. Sie wollen nicht im Krankenhauszimmer sterben, sondern daheim. Deshalb sei die wichtigste Frage, die Menschen bewegt, wenn sie an medizinische Intensivbehandlung denken, ob sie dauerhaft künstlich beatmet oder ernährt werden wollen.
In einer Patientenverfügung kann jeder auf diese Fragen seine persönliche Antwort geben. Sei es handschriftlich oder mit Hilfe eines Vordrucks, wie ihn Kirchen, Verbände und das Internet bereithalten. Außerdem lässt sich bestimmen, ob jemand wiederbelebt werden möchte, wenn etwa nach einem Schlaganfall das Gehirn geschädigt ist. Oder ob dann vielleicht auch eigene wichtige Medikamente absetzt werden sollten. Aufschreiben lässt sich aber auch, was jemand an Behandlung gerne möchte, etwa Maßnahmen, die Schmerzen oder Atemnot lindern, auch wenn dadurch die Lebenszeit möglicherweise verkürzt wird.
Wichtig ist allerdings, betont Hartmut Winkler, dass die Patientenverfügung mit Datum unterschrieben ist und spätestens alle zwei Jahre neu überdacht und quittiert wird. Er weiß aus eigener Erfahrung im Klinikbetrieb, dass schon nach vier Jahren Ärzte oft nicht mehr wissen, ob sie diesen formulierten Willen des bewusstlosen Patienten noch so anerkennen können. Schließlich sind Ärzte durch ihren Eid der Lebensrettung verpflichtet. Und in Grenzfällen - wenn etwa eine Patientenverfügung veraltet ist oder der Wille nur vom Hörensagen bekannt ist - handeln sie nach ihrer Maßgabe.
In der Praxis kann es also Probleme bei der Durchsetzung geben, auch wenn Patientenverfügungen nach höchstrichterlichem Urteil von Ärzten anzuerkennen sind. Deshalb empfiehlt Hartmut Winkler, gleichzeitig eine Vorsorgevollmacht für eine vertraute Person auszufüllen. Denn der Ehepartner oder der nächste Angehörige darf entgegen landläufiger Meinung nicht automatisch für einen bewusstlosen Patienten entscheiden. Hartmut Winklers Ehefrau Elke, aktiv in der Steinhagener Hospizgruppe, hat selbst beispielsweise neben ihrem Mann auch noch eine Freundin bevollmächtigt. »Man sollte sich gut überlegen, ob ein Verwandter solch einer emotionalen Situation gewachsen ist«, gibt sie zu bedenken. Immerhin geht es um Leben und Tod. Sinnvoll könne es auch sein, eine Patientenverfügung mit dem Hausarzt durchzusprechen und diesen gegebenenfalls in der Vorsorgevollmacht zu benennen. »Natürlich immer nur nach Rücksprache mit dem Betreffenden«, sagt Elke Winkler.
Die 44-Jährige weiß auch um die ganze Tragweite dieses Themas. Einmal künstliche Ernährung, heißt nicht in allen Fällen immer künstliche Ernährung. Es gibt Schlaganfälle, die das Schlucksystem lähmen, so dass ohne künstliche Ernährung kein Leben mehr möglich ist, berichtet sie. Doch nach intensiver Therapie gibt es auch dabei Verbesserungen, so dass die Patienten wieder selbständig essen können: »Für Laien ist es einfach schwierig, so etwas zu entscheiden.«
Wer eine Patientenverfügung verfasst, der setzt sich mit Tod und dem Sterben auseinander, der schafft für sich den Rahmen für ein würdevolles Lebensende. Hartmut und Elke Winkler und die Hospizgruppe wollen so mit der etwa halbjährlichen Beratung auch ein Stück Bewusstsein für die »letzten Dinge« schaffen.

Artikel vom 06.03.2007