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Prof. Paul Kirchhof

»Ob Deutschland oder Europa: Von repräsentativer
Demokratie kann man leider kaum noch sprechen.«

Leitartikel
»Freie Republik Brüssel«

Störenfriede mag man
gar nicht


Von Rolf Dressler
Manchen vermeintlichen Gemeinplatz sollte man immer wieder ins Bewusstsein rufen, damit das vielgepriesene neue Haus Europa nicht auf Treibsand gebaut wird. Ein Gesetz wie auch jede andere Verhaltensregel sei »nur dann legitim, wenn auch der letzte Schweinehirt im fernen Galizien es auf Anhieb versteht«, sagte dereinst aus tiefer innerer Überzeugung treffend die legendäre Kaiserin Maria Theresia.
Offenbar im Blick auf dieses Wort schrieb kürzlich Otto von Habsburg, erfahrener Europaparlamentarier und famoser Kenner der glücklichen und der dunklen Zeiten unseres Alten Kontinents, die 450 Millionen Europäer brauchten nichts weniger als eine undurchsichtige EU-Verfassung im Wälzer-Format, die sich in alle möglichen und unmöglichen Einzelheiten verliere.
In der Tat: Wer die Bürger dauerhaft für Europa gewinnen und gar begeistern will, muss ihnen knappe, klare und für alle verbindliche Grundsätze an die Hand geben - und mit dem Gottesbezug zum Ausdruck bringen, dass Europas Wertefundament für den Einzelnen wie für das Gemeinwesen unverrückbar auf den christlichen Wurzeln ruht.
Viele aber möchten eben diesen Gottesbezug schon im Entwurfstext der EU-Verfassung unbedingt vermeiden. Deshalb führen sie peinliche verbale Eiertänze auf - und empören sich über jeden Störenfried und angeblichen »Nestbeschmutzer« zumal aus den eigenen Reihen. EU-Indu- striekommissar Günter Verheugen sollte gar mit Hilfe ominöser Paparazzi-Fotos vom Nacktbadestrand zu Fall gebracht werden, weil er Übermacht, Selbstherrlichkeit und Anmaßung der Brüsseler Beamten-Maschinerie bis hinauf in die Kommission öffentlich scharf kritisiert und eine durchgreifende »Reform an Haupt und Gliedern« verlangt hatte. Verheugen vielsagend: Selbst die versiertesten Kenner der Verhältnisse verlören immer öfter »die Kontrolle über den Apparat«.
Offenbar war und ist dieser un- gemein dickfellige »Apparat« nicht wirklich willens, den Vorschriften-Dschungel zu lichten. Unternehmen sollten von jährlich mindestens 80 Milliarden Euro Verwaltungskosten befreit werden, die dann in sinnreiche Investitionen und Forschung fließen könnten anstatt in Formulare und Statistiken. Allein, es geschieht nicht.
Nun aber schlägt SPD-Vizekanzler Franz Müntefering in exakt dieselbe Kerbe wie der heftig gescholtene Brüsseler System-»Abweichler« Günter Verheugen. Die Europäische Union mit ihren Institutionen arbeite zum Verdruss ihrer Bürger »ineffizient« und unvertretbar »anonym«; sie müsse schnellstmöglich von Grund auf »radikal reformiert« werden.
Das erinnert eindrücklich an die Warnungen etwa der Professoren Paul Kirchhof und Roman Herzog, wonach die Kumpanei von EU-Funktionären, (noch dazu parteigebundenen) Beamten und Polit-Lobbyisten die Gewaltenteilung und damit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bedrohe.
Eine »freie Republik Brüssel« wäre ein fatales Missverständnis.

Artikel vom 28.02.2007