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Pilz-Experten
liefern Hilfe bei
Vergiftungen

Ehepaar Sonneborn arbeitet an Buch

Von Annemargret Ohlig
(Text und Fotos)
Senne (WB). Alle Jahre wieder ist der Start in die Pilzsammler-Saison für Irmgard und Willi Sonneborn auch das (zeitweise) Ende ihrer geruhsamen Nächte. Der Grund: Bei den beiden Experten aus Senne klingelt während dieser Zeit von den späten Abend- bis in die frühen Morgenstunden hinein immer wieder das Telefon. Ärzte bitten bei dem Ehepaar um buchstäblich lebenswichtige Hilfe. Nämlich dann, wenn sie bei im Krankenhaus eingelieferten Patienten eine Vergiftung durch »Speisepilze« vermuten.

»Schon seit etwa 25 Jahren werden wir bei Pilzvergiftungen um Rat gefragt«, erklärt Irmgard Sonneborn. Diesen erteilen sie und Ehemann Willi dann kompetent und auch zu mitternächtlicher Stunde, so schnell es geht. Wenn möglich, lassen sie sich Reste der Mahlzeit oder ähnliches mit einem Taxi in ihre Wohnung bringen. Per Augenschein sowie per Mikroskop bestimmen die 84-Jährige und ihr 83-jähriger Ehemann, ob für das Gericht möglicherweise Pilzarten verwendet wurden, die giftig sind oder in Kombination mit Alkohol Vergiftungserscheinungen hervorrufen.
Seit geraumer Zeit sehen sich die Experten bei ihrer Arbeit allerdings mit einem früher nicht bekannten Phänomen konfrontiert: Ganze Familien, fast immer Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion oder anderen osteuropäischen Ländern, die nach Deutschland gekommen sind, werden mit gravierenden Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus eingeliefert. Ausgelöst wurden diese durch den »Kahlen Krempling«, in der Wissenschaft bekannt unter dem Name »Praxillus involutus«.
Warum überwiegend Aussiedler aus Osteuropa in bester Überzeugung diesen Krempling, der auch im Teutoburger Wald reichlich zu finden ist, als »guten Pilz« sammeln - dieses »Rätsel« möchten Irmgard und Willi Sonneborn jetzt durch ihre jüngste Arbeit lösen, eine Zusammenstellung von Speise- und Giftpilzen, die gleichermaßen die wissenschaftlichen lateinischen Bezeichnungen wie auch ihren russischen Namen der Pilze in kyrillischen Buchstaben und erklärendem Text umfasst.
Diese neue Aufgabe sehen die beiden Experten nicht nur unter wissenschaftlichen, sondern auch unter Vorsorgegesichtspunkten. Denn: Von den behandelnden Ärzten erfuhren sie immer wieder, die Pilzsammler aus dem Osten hätten nachdrücklich behauptet, in ihrer früheren Heimat hätten sie genau diesen Lamellenpilz stets völlig unbeschadet als Delikatesse verzehrt - ungekocht in Salz eingepökelt sowie in eine Essig-Kräuter-Mischung eingelegt.
»Vielleicht gibt es in Osteuropa oder in Gebieten der ehemaligen Sowjetunion einen dem Kahlen Krempling sehr ähnlich sehenden Speisepilz«, lautet eine Mutmaßung der Sonneborns. Der hier zu findende »Praxillus involutus« ist allerdings - besonders in rohem Zustand - stark giftig. Er enthält unter anderem das Nervengift Muskarin und blutzersetzende Stoffe. Sogar nach längerem Abkochen und Durchbraten des Pilzes hätten Kremplingsmahlzeiten bei einigen Menschen zum Tode geführt, wissen die Pilzkenner aus Senne. Dass Alkoholgenuss in Verbindung mit bestimmten Pilzen zu Vergiftungen führen kann, ist ebenfalls bekannt.
»Auch der Wodka, der traditionell bei vielen Aussiedlern zu solchen Mahlzeiten gereicht wird, kann ein Grund für die lebensgefährlichen Vergiftungserscheinungen sein«, mutmaßt die 85-Jährige. Das im Entstehen begriffene besondere »Pilzbestimmungsbuch« soll möglichst noch vor Beginn der nächsten Saison fertiggestellt sein.
»Die Bezeichnung Buch ist dabei wohl etwas ehrgeizig gegriffen«, wiegelt Irmgard Sonneborn ab. »Aber gegen diese auffällige Häufung von Pilzvergiftungen durch den Kahlen Krempling wollen wir etwas unternehmen, der Sache auf den Grund gehen und Pilzsammlern, deren Muttersprache russisch ist, mit unserer Veröffentlichung eine Hilfe an die Hand geben.«
Der Anfang für dieses Projekt ist inzwischen gemacht. Ein Pilzkenner, der früher in Kasachstan lebte und heute in der Nachbarschafts der Sonneborn wohnt, hat an der Abgleichung etlicher Pilze und deren korrekter lateinischer, deutscher und russischer Bezeichnung mitgearbeitet. »Wir wären jedoch dankbar, wenn sich noch weitere Menschen finden, die die wichtigsten Speise- und Giftpilze kennen, sie über Abbildungen identifizieren können und neben den wissenschaftlichen auch die russischen Namen wissen«, sagt Irmgard Sonneborn.
l Wer den beiden Pilzexperten bei dieser Aufgabe helfen möchte, kann sich unter der Rufnummer 05 21 / 28 51 04 melden.

Artikel vom 15.02.2007