24.02.2007
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»Er hat sich hier richtig heimisch gefühlt«, sagte Frederic zynisch, »wie schön!«
Sie legte das Brot auf den Teller zurück. Ausgeschlossen, dass sie noch einen Bissen herunterbekam. »EsÉ tut mir leid«, flüsterte sie.
Frederics Stimme nahm einen versöhnlicheren Klang an. »Sie können für das alles überhaupt nichts, Livia«, sagte er, »entschuldigen Sie, wenn mein Ton grob war. Es ist nurÉ ich mache mir größte Sorgen. Es passt nicht zu Virginia, einfach unterzutauchen und sich nicht mehr zu melden. Nicht einmal bei den Walkers hat sie angerufen, um sich nach Kim zu erkundigen oder ihr gute Nacht zu sagen. Das ist so absolut ungewöhnlich, dass ichÉ« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Er stellte seine Tasse ab, trat auf den Tisch zu, stützte beide Arme auf und sah Livia eindringlich an.
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Er war sehr laut geworden am Ende. Livia zuckte zusammen.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. Ihre Stimme schwankte. Sie musste aufpassen, dass sie nicht in Tränen ausbrach. »Ich weiß nicht, was hier vorgeht. Ich weiß nicht, wo mein Mann ist.«
»Sie sind seine Frau. Sie müssen ihn kennen. Sie müssen etwas über sein Leben wissen. Sie können nicht so ahnungslos sein, wie Sie jetzt tun!«
Sie zog die Schultern hoch, hätte sich am liebsten in sich selbst verkrochen. »Ich weiß nichts«, flüsterte sie.
Seine Lippen waren schmal und weiß vor Wut. »Das nehme ich Ihnen nicht ab, Livia. Sie wissen nicht, wo er jetzt gerade ist, das glaube ich Ihnen. Aber Sie können mir Informationen über ihn geben. Und zwar solche, die mir vielleicht dabei helfen, etwas über den Verbleib meiner Frau herauszufinden. Verdammt noch mal, Sie werden mir alles sagen, was Sie wissen. Das sind Sie Virginia schuldig nach allem, was sie für Sie getan hat!«
Sie begann zu zittern. »ErÉ er ist kein schlechter Mensch. Er würdeÉ er würde Virginia nichts antunÉ«
Frederic lehnte sich noch weiter vor. »Aber?«
Ihre Stimme war nun kaum noch hörbar. »Aber es stimmt manches nicht, was erÉ«
»Was stimmt nicht?«
Sie fing an zu weinen. Das alles war ein Albtraum. Und er hatte nicht erst mit dem Untergang der Dandelion begonnen.
»Es stimmt nicht, dass er Schriftsteller ist. Das heißt, er schreibt schon, aberÉ aber es ist noch nie etwas veröffentlicht worden. NochÉ noch nicht eine einzige Zeile.«
»Habe ich es mir doch gedacht. Wovon haben Sie gelebt in all den Jahren?«
»VonÉ von meinem Vater. Ich habe ihn versorgt. Dafür wohnten wir bei ihm und lebten von seiner Pension. Nathan schrieb, ich kümmerte mich um Haus und Garten.«
Frederic nickte grimmig. »Der Bestsellerautor! Ich hatte sofort ein dummes Gefühl. Ich wusste, dass mit diesem Mann etwas nicht in Ordnung ist.«
»Mein Vater starb im letzten Jahr. Ich erbte sein Haus, das allerdings noch mit einer hohen Hypothek belastet war. Zudem war es alt und verwohnt. Der Verkauf brachte nicht allzu viel Geld, aber es hätte gereicht, Nathan und mich für eine Weile über Wasser zu halten. Ich hatte gehofft, dass Nathan in dieser Zeit versuchen würde, eine Arbeit zu finden. Dass er endlich aufhören würde zu glauben, zum großen Schriftsteller berufen zu sein.«
»Aber so kam es nicht?«
»Nathan hat nie einen richtigen Beruf ausgeübt. Er hat Verschiedenes studiert: Anglistik, Germanistik, GeschichteÉ Was soll man damit anfangen? Aber er versuchte es auch gar nicht. Stattdessen kam er wieder auf die Weltumsegelung zu sprechen. Damit hatte er mir schon seit Jahren in den Ohren gelegen, aber es war immer klar gewesen, dass ich meinen Vater nicht allein lasse. Doch nunÉ«
»Und da setzte er Ihr ererbtes Geld in ein Schiff um?«
Sie nickte. »Was bedeutete, dass alles weg war. Wir hatten fast nichts mehr. Seine Idee war, dass wir uns in den Häfen mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Er wollte an seinem Buch arbeiten. Er sagte, das würde sein Durchbruch werden. Er müsse nur endlich weg aus der Enge. Das Haus, die Kleinstadt, mein VaterÉ all das habe ihn gelähmt.«
»Wie bequem«, sagte Frederic zynisch. »Es geht nichts über die Möglichkeit, andere für das eigene Scheitern verantwortlich zu machen.«
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Frederic richtete sich auf, strich sich langsam die Haare zurück. »Mist«, sagte er, und zweifellos meinte er damit den Umstand, dass es ausgerechnet Virginia hatte sein müssen, die zum Opfer eines auf ganzer Linie gescheiterten Traumtänzers geworden war, »verdammter Mist. Ich möchte nur wissen, was Ihr Mann sich vorstellt. Dass er sich auf ewig hier hätte einnisten können? Oder hatte er irgendwelche Pläne, wie er seine missliche Situation in den Griff bekommen wollte?«
»Er meinte, dass es einen SchadensersatzanspruchÉ«
Frederic lachte. »So dumm kann er nicht sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden Sie überhaupt nie herausfinden, wer Sie da eigentlich in jener Nacht gerammt hat. Und sollte es Ihnen doch gelingen, können sich entsprechende Prozesse über Jahre hinziehen. Wie wollte er das denn durchhalten?«
Sie hob ihren Blick, sah Frederic an.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie, »ich weiß es wirklich nicht. Ich war sehr krank. Ich habe von den letzten Tagen überhaupt nichts mitbekommen. Ich weiß nicht, was geschehen ist in dieser Zeit. Ich weiß nicht, wo Nathan ist. Und ich weiß nicht, wo Ihre Frau ist. Ich schwöre Ihnen, ich habe keine Ahnung. Ich bitte Sie nur, mich nicht auf die Straße zu setzen. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll.«
Der Blick, den er ihr zuwarf, war nicht verächtlich, aber ein stummes Seufzen spiegelte sich in ihm wieder. Vor dem Gefühl, sich bis in den Staub erniedrigt zu haben, schloss sie sekundenlang die Augen.
Aber wenigstens würde er sie nicht wegschicken.
Zweiter Teil
Freitag, 1. September
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Artikel vom 24.02.2007