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»Übereltern eine Gefahr für
die Kindheit«

Silke Pfersdorf kritisiert Erziehung

Versmold (ja). Die »neue deutsche Kindheit« -ĂŠeine Kindheit unter ständiger Bewachung? Übervorsichtige Eltern, die ihre Kinder vor allen Gefahren schützen wollen und dabei nicht an die Folgen für sich selbst und für ihre Kinder denken, seien heutzutage viel häufiger anzutreffen als noch vor wenigen Generationen - davon ist zumindest Silke Pfersdorf überzeugt.

Über dieses täglich präsente Phänomen informierte die Autorin der Zeitschrift »Brigitte« am Mittwochabend in der Stadtbibliothek, indem sie mit ihrem Buch »Erziehungsfalle Angst« einen Impuls zum Nachdenken gab. Die Frau, die derzeit in Japan lebt, begann den Abend mit einer rhetorischen Frage an die 52 anwesenden Mütter und Väter: »Können Sie sich noch an Ihre eigene Kindheit erinnern?« Von unbeschwertem Toben in der Natur und auf der Straße mit Freunden ist da die Rede. Keiner sorgte sich um Bakterien im Sandkasten, oder ob der Hustensaft auch homöopathisch wirksam ist. Das Leben der Kinder heutzutage ist viel unfreier geworden, und sie sind abhängiger von den Eltern.
Aus welchem Grund reagieren übervorsichtige Eltern so? »Die meisten geben an, aus Liebe ihre Kinder in Watte zu packen«, erklärte Pfersdorf. Durchaus verständlich angesichts von Straftaten, sexuellem Missbrauch und Unfällen an allen Ecken - meint man. Dabei sei laut die Anzahl dieser Gefahren in den vergangenen Jahren sogar statistisch rückläufig. »Der wahnsinnige Sprung, den unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten machte, hat auch verheerende Auswirkungen auf die Familienstruktur. Die Familien fühlen sich eigentlich nur noch in ihrem eigenen Kern sicher«, analysierte die Autorin. Zudem stünden viele Eltern unter dem ständigen Druck der Mitmenschen, sein Kind perfekt erziehen zu wollen. Genau mit dieser Problematik befasst sich das Buch »Erziehungsfalle Angst«. Ironisch-witzig und zum Teil auch sehr bissig kommentiert die Autorin alltägliche Situationen: im Kinderzimmer, auf dem Spielplatz oder in der Schule. Durch die Übertreibungen wird einem erst bewusst, wie lächerlich und unnötig diese zwanghafte Angst um das Kind zu sein scheint.
Als Folge seien nicht nur physische und psychische Langzeitschäden für das Kind zu erwarten. Auch den Eltern ginge ein Stück Lebensqualität verloren, wenn das Kind in den Mittelpunkt gerückt wird und nicht als Teil der Familie gesehen wird. »Wir kontrollieren Kinder und Kindheit zu Tode«, kommentierte die Autorin diese Situation. Das Buch sei hierbei kein üblicher Ratgeber, denn gerade der Überschuss an Informationen mache es Eltern oft schwer, eigene Entscheidungen zu treffen. Klare, einfache Tipps gibt Pfersdorf in ihrem Buch: Kinder sollten viel öfter eigene Entscheidungen treffen und mehr Freiraum bekommen, ohne einem echten Risiko ausgesetzt zu sein.
Das gebannt zuhörende Publikum erkannte sich in manchen Situationen wieder, allerdings konnten auch Anstöße zum Umdenken gegeben werden. »Manchmal ist es nicht leicht, besonders der Druck von außen zwingt einen, übervorsichtig zu sein«, lautete die Reaktion einer Mutter. Berichte aus den Reihen zeigten, dass sich viele Mütter mit den im Buch beschriebenen Situationen identifizieren können.

Artikel vom 09.02.2007