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»Reden Sie nicht auf Ihre Kinder ein!«

Diplom-Psychologe Martin Krause spricht im Familienzentrum über ADS-erkrankte Kinder

Borgholzhausen (WB/Felix). Motorische Unruhe, große Ablenkbarkeit oder übermäßige Impulsivität - mit Kindern, die am »Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom« leiden, leiden ihre Eltern, ihre Umwelt. In Borgholzhausen wie anderswo setzen Ärzte auf Medikamente wie Ritalin.

Doch daneben ist das Erziehungsverhalten enorm wichtig. Dazu gehört der kontrollierte Gebrauch von Computer, Play-Station und Fernsehen, ein konsequenter Erziehungsstil. Selbstwertgefühl und Gruppenkontakte sind wichtig. Aufmerksamkeit und Handlungsplanung müssen geschult werden, weiß Diplom-Psychologe Martin Krause von der Evangelischen Familien-und Erziehungsberatung der Diakonie im Kirchenkreis Halle.
Das Bild von dem Mädchen, das auf seinem Fahrrad am Start einer Achterbahn steht - es brachte einige der Zuhörer von Martin Krause am Montagzum Schmunzeln. Und man merkte es den Reaktionen der Besucher bei den Ausführungen des Psychologen zum Thema »Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom« an, dass sie die geschilderten Szenarien immer wieder auf ihre eigenen Kinder übertrugen. Doch deren Erfahrungen sind manchmal so gar nicht zum Lachen.
Denn egal, ob ADS oder ADHS - die Auswirkungen dessen, was sich hinter den Kürzeln verbirgt, bringt manche Familien zuweilen an den Rand der Verzweiflung und steckt die betroffenen Kinder schnell in eine Schublade. Vor allem bei Erziehern und Lehrern.
Krause, der auf Einladung des Familienzentrums nach Borgholzhausen gekommen war, versuchte Licht in die Irrungen und Wirrungen des menschlichen Gehirns zu bringen. Hier nämlich spielt sich all jenes ab, was sich in Symptomen wie motorische Unruhe, große Ablenkbarkeit oder übermäßige Impulsivität widerspiegelt.
»Die Wissenschaft ist sich darin einig, dass das eigentliche Problem im Stirnlappen des Gehirns liegt«, erklärte Krause. Dort nämlich säßen, so zeigte der zweifache Vater in bunten Bildern, die vier »Chefs« des Gehirns - zuständig fürs Pläne schmieden - sowie ein guter Arbeitsspeicher. Erfüllen sie ihre Aufgabe nicht, nämlich spontane Gefühle zu unterdrücken, die Zeit überdauernde Pläne zu machen, trotz Misserfolgen an einem Thema dran zu bleiben und die Aufmerksamkeit bei einer Sache zu halten, ergeben sich als Folge die Symptome des ADS.
Eine besondere Rolle spielen dabei die beiden Nervenhormone Serotonin und Dopamin. Sorgt Ersteres für die nötige Gelassenheit, ist Letzteres für Aufregung und Belohnung zuständig. »Hier nun unterscheiden sich die Ansichten von Medizinern und Neuro-Psychologen«, betonte Krause. Denn während Ärzte annehmen, dass die ausgeschütteten Hormone auch gleich wieder vom Körper »eingefischt« werden und somit keine weitere Reiz-Fortleitung aufkommen kann, gehen Neuro-Psychologen davon aus, dass das Dopamin für eine große Anzahl von Verzweigungen der Nervenenden - dem »Sprouting« - sorgt. Die einzelne Dopamin-Ausschüttung ist dann schlicht zu klein, um überhaupt wirken zu können.
Ein dritter wichtiger Botenstoff ist das Acetylcholin, das für die Wahrnehmung und das Handeln zuständig ist. »Hören Sie auf, auf ihre Kinder einzureden«, riet der 53-jährige Referent den Müttern im Bürgerhaus. »Denn die Einsicht über eine Situation verbessert die Steuerung an sich nicht«. Betroffenen Eltern steht Martin Krause auch jeweils mittwochs in der Zeit von 14.30 bis 16 Uhr sowie nach Vereinbarung zu Einzelgesprächen zur Verfügung. Und ab dem 24. April lädt das Familienzentrum zudem, jeweils ab 20 Uhr im Bürgerhaus, zu einem regelmäßigen AD(H)S- Stammtisch ein.

Artikel vom 07.02.2007