03.02.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wort zum Sonntag

Heute von Pfarrer Martin Liebschwager

Martin Liebschwager ist Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Harsewinkel.

Wenn wir ganz ehrlich sind - in der Regel wissen wir heute schon, was morgen, was in den nächsten Tagen mit uns passiert. Wir werden unserer Arbeit nachgehen oder versuchen, dem Tag in diesen Schmuddelwetterzeiten irgendeine sinnvolle Gestalt zu geben, werden unsere Mahlzeiten regelmäßig einnehmen, vielleicht noch das eine oder andere erledigen, das wir uns für die kommende Woche vorgenommen haben. Die berechenbaren Teile überwiegen die unberechenbaren.
Zöllnern zur Zeit Jesu erging das nicht anders, Tag für Tag am Stadttor, ungeliebt bei den Juden, nicht sonderlich hoch geachtet bei den Römern. Sie werden die Unzufriedenheit und die Angiftungen mit nach Hause nehmen, abends in ihre Familien. Auf der anderen Seite haben sie einen sicheren Arbeitsplatz, der alle im Haus ernährt, außer Loyalität und einem dicken Fell braucht man eigentlich keine weiteren Voraussetzungen. Auch das ist ein berechenbares Leben, Tag für Tag.
Bis zu dem Tag, an dem Jesus einem der Zöllner, dem Zöllner Matthäus, begegnet. Jesus tritt ihm entgegen, fordert ihn auf: »Folge mir!« und Matthäus steht auf und folgt Jesus nach. Jesus begleitet Matthäus in dessen Haus. Andere Zöllner und, wie die Bibel sich ausdrückt, Sünder kommen dazu. Die Pharisäer regen sich darüber auf, und Jesus antwortet mit dem bekannten Satz: »Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Schwachen. Geht aber hin und lernt, was da heißt: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.« (Matthäus 9,9-13).
Jesus durchbricht den Alltag. Sein »Folge mir« hat keinen Widerspruch zur Folge. Das Leben des Matthäus ist von einer Stunde zur anderen ein anderes. Folgen im Sinne Jesu heißt eben nicht, dort weiter zu machen, wo man gestern aufgehört hat, vielleicht mit einem netteren Lächeln auf dem Gesicht. »Folge mir!« - das ist der Ruf in eine neue Gemeinschaft.
Der Zöllner wird aus seiner zwielichtigen Gegenwart herausgerufen und in eine neue Gemeinschaft gestellt. Diese zeichnet sich aber nicht dadurch aus, dass Menschen zweifelhaften Rufes sich zu Jesus gesellen, sondern er gesellt sich zu ihnen, sehr zum Leidwesen der Gerechten. An dieser Stelle - wie schon Wochen zuvor am Weihnachtsfest - verbindet sich wieder Göttliches und Menschliches darin, dass Gott sich der gescheiterten Existenz nähert und nicht umgekehrt.
Und so kann ich uns nur wünschen, dass auch wir dafür offen sind, Jesus zu erkennen, wenn er uns begegnet, in unserer Gegenwart, in unserem Scheitern, in unserer Schwäche, aus der wir alleine oft nicht herauskommen. Ich wünsche uns, dass da jemand kommt, der sagt: »Folge mir!«,und mein Leben erscheint und lebt sich in einem neuen Licht. Dann hat der Stern von Bethlehem die Weihnachtstage überdauert.

Artikel vom 03.02.2007