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Joker Jimmy und König
Vlado in aller Munde

WM 1978: So erlebten die Handballer den Erfolg damals

Von Gunnar Feicht
Altkreis (WB). Bayern München entlässt Trainer Magath, in Mönchengladbach tritt Jupp Heynckes zurück - trotz dieser aktuellen Aufreger rund um König Fußball ist das furiose Auftreten der deutschen Handballer bei der WM gleichwertiges zurzeit Gesprächsthema Nr. eins. War das 1978, beim bisher letzten Welttitelgewinn für Deutschland, genauso?

Alte Hasen der heimischen Handballszene erinnern sich, wie sie seinerzeit die Übertragung des Endspiels aus Kopenhagen (20:19 gegen die UdSSR) und die Begeisterung um die WM-Helden von damals erlebten:

Ernst-August Stüssel (Union 92 Halle, 1978 beim TV Werther): »Ich hatte ein winziges 25-Quadratmeter-Apartment in Werther, da haben sich sieben, acht Leute um den Fernseher gedrängt. Als Jimmy Waltke aus Dankersen von der Bank kam und nach der Pause drei Tore hintereinander machte, stieg die Stimmung auf den Höhepunkt. Daran konnte auch der ziemlich dröge und schulmeisterliche Kommentar von ZDF-Reporter Fritz Hattig nichts ändern. Der war zwar selbst eine Feldhandball-Größe in Wellinghofen gewesen, wurde aber meiner Erinnerung nach bald nach dem Endspiel abgesetzt. Das breite Interesse an der Handball-WM wie heute gab's damals noch nicht. Auf Fußballer oder Tischtennisspieler ist die Begeisterung nicht so recht übergesprungen.«
Herbert Piel (TG Hörste): »Ich habe damals wegen meines Hausbaus ein Jahr Handballpause gemacht und war als gelernter Tischler an dem Sonntag gerade dabei, die Fenster und Türen zu bauen. Gegen die hoch favorisierten Russen hatten wir uns überhaupt keine Chancen ausgerechnet. Als die deutsche Mannschaft dann aber in Führung lag, habe ich das Werkzeug hingelegt, mich auf die Hobelbank gesetzt und am Radio mitgefiebert. Als der knappe Sieg dann endlich feststand, war ich nervlich fix und fertig. Die Bilder von Vlado Stenzel mit der Pappkrone, die man hinterher im Fernsehen gesehen hat, haben danach bei TG Hörste noch die 80er-Jahre geprägt: Als die ÝErsteÜ in die Landesliga aufstieg, wurde Trainer Horst ÝSpitzmannÜ Heienbrock mit einer Krone durch die Halle getragen, die Ewald Baier vorher gebastelt hatte.«
Wolfgang Tarner (Union 92, damals SC Halle): »Das Finale haben wir gemeinsam mit der gesamten Mannschaft am Fernseher verfolgt. Die Entwicklung des deutschen Teams während des Turniers ist durchaus mit heute vergleichbar. Auch damals haben die Experten der Mannschaft zunächst nicht so viel zugetraut, aber wie Phönix aus der Asche ist die Truppe dann zum Erfolg gestürmt. Für uns Ostwestfalen war natürlich der Auftritt von Joker Jimmy Waltke der absolute Höhepunkt, weil der vor dem Endspiel noch gar nicht zum Einsatz gekommen war und - wie es hieß - schon abreisen wollte. Bedingt durch die umfangreiche Medien-Berichterstattung ist der Stellenwert der WM in der Öffentlichkeit heute viel höher als vor 29 Jahren.«
Willi Möhle (Trainer SF Loxten, damals Bundesliga-Torwart beim TuS Nettelstedt): »Richard Boczkowski, mein damaliger Teamkollege aus Nettelstedt, stand auch im WM-Aufgebot, konnte aber nicht zum Einsatz kommen, weil er in einen Kaktus gefasst und sich dabei eine Entzündung am Finger zugezogen hatte. Darüber haben wir hinter noch oft geflachst. Der Erfolg 1978 hat danach viele junge Talente zum Handball gebracht, die auch das Niveau in den unteren Spielklassen angehoben haben. Der ÝStarÜ seinerzeit war kein Spieler, sondern Trainer Vlado Stenzel: ein Typ, der sich gut darstellen konnte, einer, um den sich alles drehte und der rund um den Handball für viel Spektakel gesorgt hat.«

Artikel vom 01.02.2007