01.02.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Orhan Pamuk liest
nicht in Deutschland

Sein Leben wird durch türkische Nationalisten bedroht

München (dpa). Wegen massiver Drohungen hat der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk (»Istanbul«) eine Reise nach Deutschland abgesagt. Eine Sprecherin des Hanser-Verlags in München erklärte gestern, Pamuk habe seine Lesetour auf unbestimmte Zeit verschoben.

Pamuk war wegen seines Engagements zur Aufklärung des Genozids an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs immer wieder von türkischen Nationalisten angefeindet worden. Nach einem Bericht des »Kölner Stadt-Anzeigers« sehe sich Pamuk nach dem Mord an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink konkret gefährdet.
Die Auftritte in Berlin, Köln, Hamburg, Stuttgart und München wurden gestrichen.
Morgen sollte der 54 Jahre alte Pamuk (»Schnee«) in Berlin die Ehrendoktorwürde der Freien Universität erhalten. Das Präsidium und der Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften bedauerten die Absage »außerordentlich«.
Nach Expertenansicht gilt nicht das Ziel Deutschland als Risiko, sondern das Reisen überhaupt. Der mutmaßliche Drahtzieher des Mordes an Dink hatte am Mittwoch der vergangenen Woche vor einem türkischen Gericht gedroht: »Orhan Pamuk, seien Sie klug.« Wie der auf offener Straße erschossene Dink wird auch Pamuk von türkischen Nationalisten angefeindet. Sie hatten ihn wegen »Beleidigung des Türkentums« angeklagt, der Prozess gegen Pamuk war Anfang 2006 aber eingestellt worden.
Im Untergrund wie einst Autor Salman Rushdie lebt Pamuk nicht. Erst kürzlich besuchte er eine Buchmesse in Kairo. In der Öffentlichkeit hatte sich Pamuk zwei Tage nach dem Journalistenmord gezeigt, als er der Familie einen Beileidsbesuch abstattete. »In gewissem Sinn sind wir alle für seinen Tod verantwortlich«, hatte er dort gesagt: »Besonders aber diejenigen, die den Paragrafen 301 (Verunglimpfung des Staates und Beleidigung der Türkentums) verteidigen und daran festhalten wollen.« Dink sei wegen seiner Gedanken ermordet worden, »wegen seiner Gedanken, die unser Staat nicht akzeptiert«.
Der Präsident des deutschen P.E.N.-Zentrums, Johano Strasser, äußerte Verständnis für Pamuks Absage. Die Drohung sei ernst zu nehmen, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Auch in Deutschland gebe es unter den Türken militante Nationalisten.
Der Schriftsteller Ralph Giordano rief die muslimische Gemeinschaft in Deutschland zu Solidarität mit Pamuk auf und zu Protesten gegen die Morddrohungen.

Artikel vom 01.02.2007