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»Fremde« Kinder finden ein Zuhause

Pflegeeltern sind eine Chance, wenn die erste Familie versagt hat - Babys selten vermittelt

Von Friederike Niemeyer
Steinhagen-Amshausen (WB). Wem das Wunschkind versagt bleibt, der setzt seine Hoffnung häufig in eine Adoption. Doch das Baby, das gleich nach der Geburt in die Arme glücklicher, kinderloser Eltern gegeben wird, das ist in Deutschland die absolute Ausnahme, weiß Dietlind Stüssel.

In der Regel werden zwei- bis vierjährige oder ältere Kinder vermittelt, berichtet die 39-jährige Amshausenerin. Sie ist selbst Pflegemutter und im Verein der Adoptiv- und Pflegefamilien OWL (siehe Info-Kasten) aktiv. »Jüngere Kleinkinder sind die Ausnahme. Sie sind meist stark geschädigt, haben oft schon einen Entzug hinter sich.« Babys von DrogenabhängigenÉ Die Adoption überhaupt ist keineswegs die Regel, will Dietlind Stüssel auch in dieser Hinsicht keine Hoffnungen machen. Sie kennt die bürokratischen aber auch psychischen Hürden auf dem Weg zu einer glücklichen Familie mit angenommenen Kindern.
Im Kreis Gütersloh leben 527 Kinder und Jugendliche in Heimen oder Pflegefamilien (Stand 2005), bei 173 von ihnen war ihr Wohl gefährdet. In diesen Fällen hat ein Gericht den leiblichen Eltern das Sorgerecht entzogen und einen neuen Aufenthaltsort für das Kind beschlossen. Das Jugendamt betreut die Familien und erarbeitet Hilfepläne.
Wer sich um ein Adoptiv- oder Pflegekind bewerben will, wird zunächst vom Jugendamt geprüft. Ein bis drei Jahre dauert es, bis ein Pflegekind in seine neue Familie einzieht. »Es hat dann mindestens eine Katastrophe schon hinter sich«, weiß Dietlind Stüssel. Vernachlässigung oder körperliche Misshandlung sind häufig die Ursache, warum ein Kind seinen leiblichen Eltern weggenommen wird.
»Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben«, sagt Dietlind Stüssel schmunzelnd, wenn sie an all die Probleme denkt, die im Zusammenleben auftreten können. »Keines dieser Kinder hat ein Babyfoto. Was macht man, wenn die Kinder in der Schule über die eigene Familie sprechen sollen?«, nennt sie nur ein Beispiel. Denn natürlich merkt ein Pflegekind, dass es aus einer anderen Familie kommt und fragt nach. Schließlich trägt es oft einen anderen Nachnamen. Neid kommt auf zu vermeintlich normalen Familien. Und bei den Eltern Angst und übertriebene Sorge, wenn das Pflegekind zu rauchen beginnt: etwa der Einstieg in eine Drogenkarriere?
»Die Kinder mit einer bewussten Erinnerung haben es leichter. Die Kleinen sind oft überfordert von ihren diffusen Gefühlen, reagieren manchmal aggressiv«, sagt Dietlind Stüssel. Deshalb brauchen gerade Pflegekinder eine total geordnete Tagesstruktur. »Jede Veränderung wirft die Kinder aus der Bahn. Auch ein Urlaub ist für sie deshalb Stress pur.« Schöne, entspannte Momente bescheren deshalb gerade die täglichen Rituale, wie etwa das Zu-Bett-Bringen. So sieht das kleine Glück in einer Pflegefamilie aus.

Artikel vom 01.02.2007