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Tonnenschwerer Baum zertrümmert Haus

Großes Glück im Unglück für 64-jährige Bewohnerin am Schloß Brincke - »Schlimmster Sturm seit 1941«

Von Stefan Küppers
Borgholzhausen (WB). Der Morgen danach. Vielen stehen die Schrecken der Nacht noch ins Gesicht geschrieben. Auch Detlef Böhne. Der 42-Jährige hat in der Nacht seine Mutter aus einem völlig zerstörten Fachwerkhaus am Schloss Brincke holen müssen.

Es ist ein großes Glück, dass die 64-jährige Monika Böhne den Einsturz einer tonnenschweren Platane in ihr Haus unversehrt überstanden hat. Der morsche Baum, der eigentlich längst hätte gefällt werden müssen, wie Detlef Böhne anmerkt, stürzt auf das Dach des alten Fachwerkhauses und hinterlässt eine Spur der Zerstörung. Monika Böhne hat Glück, dass sie beim Unglück vorm Fernseher unter stabilen Decken im Wohnzimmer sitzt. Nur ein paar Meter weiter, im zur Wohnung gehörenden Anbau, krachen Baum und Balken bis unten durch.
Die Borgholzhausener Feuerwehrleute und ein herbei gerufener Kranwagen haben alle Hände voll zu tun, den Baum zu beseitigen und die Reste des Hauses zu sichern. Es ist in Borgholzhausen der größte Einzelschaden: mindestens 200 000 Euro. Monika Böhne, die das Haus seit 36 Jahren von Graf Kerssenbrock gepachtet hat, versucht noch mit Planen, die Antiquitäten im Haus gegen das einlaufende Wasser zu schützen. Doch »Kyrill« hat in dieser Nacht für die 64-Jährige viel verändert. Der auswärts lebende Sohn ist froh, dass in solchen Augenblicken die Hilfe von Freunden funktioniert. Mutter kann die nächsten Wochen in einer Wohnung in Barnhausen unterkommen.
Rund um Barnhausen und im Umfeld von Haus Brincke schlug Orkantief »Kyrell« besonders heftig zu. »So schlimm war es hier zuletzt 1941«, erzählt die Schlossherrin von Brincke, Adelheid Gräfin Kerssenbrock-Praschma. Noch am Freitagvormittag laufen ständig Meldungen bei den Kerssenbrocks ein, wo überall auf ihrem Grund und Boden Bäume auf Straßen, auf Hofzufahrten oder sogar in Häuser gestürzt sind. An der Meller Straße kommt ein Pächter nicht mehr vom Hof runter. Die Größe einer Besitzung von 450 Hektar kann in stürmischer Zeit zum Fluch werden.
Am Brincker Weg 9 hat Jörg Wind die Dachdecker anrücken lassen. Eine mehr als 20 Meter hohe Pappel ist ins Dach gestürzt und hat Schäden in Höhe von etwa 20 000 Euro angerichtet. Unter dem Dachfenster ist das Zimmer seiner 14-jährigen Tochter Leonie. Die ist zum Glück im Wohnzimmer. »Wir sagen Stadt und Verpächter seit Jahren, dass die Bäume gefährlich sind und weg müssen«, ärgert sich Jörg Wind. Er ist froh, dass die schwere Pappel nicht rechtwinkelig aufgeschlagen ist. »Das hätte Tote gegeben.«
Dag Brüggeshemke von der Stadtverwaltung steht derweil fassungslos vor den Umkleideräumen am Ravensberger Stadion. Der Orkan hat das Dach an einer Stelle wie eine Sardinenbüchse geöffnet. Wie so etwas passieren kann bei einem nur etwa zehn Jahre alten Bau, bleibt rätselhaft. Brüggeshemke kümmert sich um die Schäden an öffentlichen Gebäuden, zum Beispiel am Übergangswohnheim Sundernstraße, wo zwei Baumkronen im Dach hängen. Ein Sorgenkind ist der Sportplatz in Kleekamp. Dort sind hohe Bäume reihenweise auf den Platz gekippt, haben einen Flutlichtmast mitgerissen. Andere Bäume stehen so schief, dass sie zur Vorsicht wohl gefällt werden müssen. In nächster Zeit ist an einen Spielbetrieb auf dem Ascheplatz nicht zu denken.
Unglaubliche Kräfte hat Orkan Kyrell auch auf dem Hof Schütte neben dem gleichnamigen Gewerbegebiet entwickelt. Auf der Hofzufahrt liegen niedergestürmt große Weiden - gleich sieben auf einen Streich. Auf dem Hof sind weitere Bäume umgestürzt, zwei davon haben eine Scheune in einen Trümmerhaufen verwandelt.
Die Feuerwehr hat dort noch nicht die Bäume zu Kleinholz verarbeitet. Sie kann an diesem Katastrophentag nicht überall sein. Doch die Männer und Frauen in den beiden Piumer Löschzügen leisten Großartiges. 44 Einsätze stehen bis Freitag morgen zu Buche. Stundenlange Arbeit, die auch gefährlich ist. Insbesondere an der Meller Straße, wo die Bäume in Kammlage reihenweise umkippen. Zur Belohnung gibt's später von gutmeinenden Alterskameraden Kaffee und Bockwurst im Gerätehaus. Und jede Menge Anerkennung von den Bürgern für die freiwilligen Helfer.

Artikel vom 20.01.2007