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Alte Schätze kommen
jetzt ans Tageslicht

Archäologen wühlen sich durch Kölner Untergrund

Von Gerd Korinthenberg
Köln (dpa). Viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse, etliche Überraschungen und einige archäologische »Kollateralschäden«: So lautet die Halbzeitbilanz bei der Mega-Ausgrabung in der Kölner Innenstadt.

Seit gut zwei Jahren wühlen sich U-Bahn-Bauer auf einer neuen Trasse vier Kilometer weit vom Dom längs des Rheins in den Süden der historischen Stadt - zumeist unter den Resten aus zwei Jahrtausenden Siedlungsgeschichte hindurch. Doch überall dort, wo Bahnhöfe und Versorgungsschächte die Fundschichten durchstoßen, sind Wissenschaftler mit Schaufeln, Kellen und Pinseln gefragt.
Mit etwa 30 000 Quadratmetern Ausgrabungsfläche und 150 000 Kubikmetern fundträchtiger Kölner Erde, die akribisch durchsucht werden, sei das Arbeitspensum ein Drittel größer als ursprünglich geplant, beschreibt Projektleiter Marcus Trier (44) die Herkules-Arbeit, die neben dem Athener U-Bahnbau und der Ausgrabung des Grand Louvre in Paris zu den größten Innenstadt-Grabungen des Kontinents gehört.
Einige Fundschichten mussten zur Stabilisierung des Bahn-Schachtes mit Kalkmilch verbacken werden und gingen damit für die Wissenschaft verloren. Auch Bohrungen durch die römische Stadtmauer waren unvermeidbar. Dies seien archäologische Niederlagen und »Kollateralschäden« des gewaltigen Unternehmens, sagt Hansgerd Hellenkemper als Chef der Kölner Bodendenkmalpflege. Mit einem komplizierten Ausgrabungspuzzle musste man unter anderem auf den Platzbedarf von Karnevalszügen Rücksicht nehmen. Die Funde werden nach Schätzung der Archäologen zum Abschluss der Grabungen Ende 2009 etwa 10000 Kisten füllen.
Unzählige Amphorenscherben werden dabei sein. Ihre Aufschriften, die als Glücksfall im römischen Hafenschlamm erhalten blieben, belegen die Lieferung marokkanischer Fisch-Sauce in spanischen Krügen an den Niederrhein. Sie künden ebenso von funktionierenden Wirtschaftsbeziehungen wie die Tonnen von Austernschalen in der Nähe. Zwischen den hölzernen Resten einer Schreibtafel-Fabrikation der Römer lag im Schlick sogar ein menschliches Skelett, »vielleicht ein Armengrab«. So profitiert die Wissenschaft heute davon, dass die römischen Kölner ihren Hafen von der Mitte des ersten Jahrhunderts an zunehmend als Müllkippe nutzten. Eine mittelalterliche Kamm-Werkstatt und der bisher »einzigartige Fund« einer Bergkristall-Schleiferei des 12. Jahrhunderts nahe dem Dom künden von Köln als der »Boom-Town« im Europa des Mittelalters.
Im Süden der Stadt überrascht ein antikes Gräberfeld, auf dem unter der schützenden Erdschicht preußischer Wallanlagen bis zu 300 Bestattungen lokalisiert wurden.
Für Hochachtung sorgt eine um das Jahr 17 nach Christus aus drei Schichten Holz und Kies sorgfältig gebaute Nebenstraße der römischen Vorstadt.

Artikel vom 09.01.2007