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Gegenüber lag das SA-Lokal

WB-Serie zu Haller Stadtführern: Udo Waschelitz streift das Dritte Reich

Von Klaudia Genuit-Thiessen
(Text und Foto)
Halle (WB). Die Direktheit hat Udo Waschelitz aus dem Ruhrgebiet nach Halle mitgebracht. Der »Reserve-Stadtführer«, wie er selbst sagt, pflegt ein offenes Wort. Doch wenn er Besuchern auf dem Kirchplatz mitteilt, dass sie just über Leichen gehen, mildert ein freundliches Lächeln die freimütige Bemerkung im Schatten von St. Johannis - dritte und letzte Folge der WB-Serie.

Bekanntlich wurden die Haller bis 1826 auf dem Kirchplatz beigesetzt, dem Ort, dem Udo Waschelitz sich besonders verbunden fühlt. Mitten im Haller Herz, dort wo die Kirche trutzig von der langen Geschichte der Stadt erzählt, wo er selbst einmal zwei Jahre gewohnt hat, wo Halles ältestes Haus steht - das Museum - und das Café Gegenüber, dort hat Udo Waschelitz einiges zu zeigen und zu erzählen. Von dort biegt er nach all der Sandstein- und Fachwerk-Seligkeit durch den Kiskerbogen zum Bürgerzentrum ab.
Und macht einen Schlenker zum Haus nebenan. »Ich möchte nicht nur die Schokoladenseite der Stadt zeigen«, meint er. In dem Haus Lange Straße 61 haben einst der jüdische Schlachtermeister Moritz Isenberg und seine Familie gelebt. Exemplarisch für das Schicksal der Juden in Halle erzählt Waschelitz davon, dass Hans Isenberg, der Sohn des Schlachtermeisters, schon 1936 mit 22 Jahren nach Südafrika emigriert ist. »Die Isenbergs waren eine sehr angesehene Familie, geschätzt auch wegen ihrer Großzügigkeit. Man konnte anschreiben lassen«, weiß der Stadtführer.
Übrigens nicht nur aus dem Buch von Uwe Heckert, sondern auch durch Augenzeugenberichte. Nach dem Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte 1933 sei es in dem kleinen Halle mühelos zu kontrollieren gewesen, welcher »Volksgenosse« dort noch einkaufte. Schließlich lag der Schlachterladen gegenüber dem SA-Lokal, wo jeder notiert wurde, der noch ein- und ausging. 1936 meldete Moritz Isenburg sein Gewerbe ab. 1939 verbot man den Juden per Gesetz die Ausübung eines Handwerks und den Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes. Moritz Isenberg, seine Frau Thekela und seine Tochter Klara - neben Ida Herzberg und Leopold Weinberg die letzten Juden in Halle - konnten keinen Groschen mehr verdienen. Also auch kein Visum für die Ausreise nach Südafrika bezahlen. Am 30. März 1942 wurden die Isenbergs gemeinsam mit sieben Juden aus Werther zum Bielefelder Kesselbrink gebracht und tags drauf von dort ins Warschauer Ghetto deportiert. Niemand von ihnen überlebte.
»Wer vom Evangelium redet, muss von Israel reden«, zitiert der Laienprediger und Synodalbeauftragter für Blinde und Sehbehinderte Superintendent Walter Hempelmann. Ein Satz, der bei Udo Waschelitz auf offene Ohren traf.

Artikel vom 06.01.2007