04.01.2007 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Verwitterte Grabmale auf
Gottesacker mit Geschichte

WB-Serie: Die Haller Stadtführer - Heute: Lydia Gödeke

Von Klaudia Genuit-Thiessen
Halle (WB). Die Inschrift des Grabmals ist verwittert. Dass der Colon Heinrich Gödeke, Ascheloh Nr. 9, hier seine letzte Ruhe gefunden hat, ist kaum noch zu lesen. Seit 1885 hat die Zeit dem weichen, heimischen Sandstein heftig zugesetzt - wie auch den anderen Epitaphen auf dem alten Friedhof gegenüber der Post. Ein Idyll mitten in der Stadt, ein Kleinod mit Charakter. Hier beginnt Lydia Gödeke (66) seit zehn Jahren oft ihre Stadtführungen - in der zweiten Folge der WB-Serie.

Die gestandene Landfrau aus Ascheloh weiß eine ganze Menge zu erzählen über den alten Friedhof, den die Haller 1826 angelegt haben. Pastor Ludolf Hoermann hatte gegen dieses Vorhaben erbitterten Widerstand geleistet. Doch am Ende war er der erste, der an der Bahnhofstraße zu Grabe getragen wurde. Bis dahin hatte man die Toten rund um St. Johannis bestattet. Schon im 17. Jahrhundert hatte der Totengräber den Boden des Kirchplatzes mit einer spitzen Eisenstange, dem »Totenstecher«, nach noch festen Särgen untersuchen müssen, wie Halles »Stadtschreiber« Heinrich Meise in seinem 1968 erschienenen Buch schrieb. Weil es nach 1700 kaum noch freie Plätze gegeben habe, legten betuchte Familien schon die ersten Waldfriedhöfe an. Die Franzosen drängten 1808 schließlich darauf, dass sich der Magistrat um ein Grundstück außerhalb der Stadt bemühte.
Das gehörte damals zum Gartnischer Hof Hartmann, ein bis dahin ebenso baumloser Acker wie der Kirchhof. »Heute stehen hier mit die ältesten Linden in der Haller Innenstadt«, weiß Lydia Gödeke.
Der Efeu hat längst ein grünes Tuch über die Grabstätten geworfen, auf denen Namen in Sandstein, Muschelkalk und Marmor an Haller Familien erinnern. Ein Stein gehört der Familie »Meyer vor Werther jetzt Große-Butnenuth«. »Der älteste Hof in Ascheloh am Berghagen hat seinen Namen von dem plattdeutschen Ýbuten utÜ - nach draußen raus«, erzählt die Stadtführerin, die auch über allerbeste Kenntnisse der Angelegenheiten auf den Haller Höfen verfügt.
Möglicherweise die letzte Beerdigung auf dem Gottesacker mit Geschichte war die Beisetzung von Hildegard Henrichsen 1990. »Fräulein Henrichsen hat in Halle früher den Kinderchor geleitet», weiß Lydia Gödeke. Der Weg Richtung Post führt vorbei an halb versunkenen Grabsteinen und dem Ehrenmal aus den 60-er Jahren.
Über die schmucke Post aus dem Jahr 1898 hat die Stadtführerin nur wenig zu berichten. Neun Fernmeldeeanschlüsse waren einst im Turm gebündelt. Lydia Gödeke: »Und heute weiß keiner mehr, wem das Gebäude überhaupt gehört«.
Einer ihrer Rundgänge führt an der alten Schule vorbei, die 1671 erbaut wurde. Weil sie eigentlich viel zu klein für 300 ABC-Schüler war, kam es einst zu einem erbitterten Schulstreit zwischen den Haller Bauern und der Regierung in Minden . . . Die Kiskerstraße hinauf, die »Himmelsleiter« herunter und, den Storkenberg rechts liegen lassend, geht Lydia Gödeke mit ihren Gruppen gern am Walther-von-der-Vogelweide-Denkmal vorbei, Kastanienallee und Apothekerstraße herab zurück ins Haller Herz. Gut zwei Stunden dauert dieser Rundgang - »mit vielen Pausen«, schmunzelt die Stadtführerin, die die Wege schon seit Kinderzeiten kennt.

Artikel vom 04.01.2007