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Aus Fremden wurde eine große Familie

Tochter, Sohn und Enkel für Wilhelm Brindöpke: Kosovo-Flüchtlinge finden neue Heimat

Von Annemarie Bluhm-Weinhold
Steinhagen (WB). Sie kamen einst als Flüchtlinge aus dem Kosovo. Heute ist Steinhagen ihre Heimat und ein Steinhagener ihr Adoptivvater. Aus Fremden wurden Freunde, und aus Freunden wurde eine Familie: Die Geschichte von Emine und Islam Krasniqi, ihren Kindern und Wilhelm Brindöpke ist eine ganz besondere Geschichte, wie sie besser zu Weihnachten nicht passen könnte. Denn sie zeugt von Nächstenliebe, von Hilfe und Vertrauen, von Großherzigkeit und schließlich von Dankbarkeit - und zwar auf beiden Seiten: Denn Wilhelm Brindöpke empfindet seine »Kinder« ebenso als Geschenk wie die Krasniqis ihren »Opa«.

Im Advent wurden schon Plätzchen gebacken und Nikolausstiefel geschnürt. Die Kinder packen am heutigen Heiligen Abend ihre Geschenke natürlich unter dem geschmückten Baum aus, und Emine wird auch eine Weihnachtsgans zubereiten. Weihnachten ist auch ihr Fest - obwohl Emine und Islam Krasniqi muslimischen Glaubens sind. »Wir haben Weihnachten auch im Kosovo gefeiert. Bei uns im Dorf leben auch Katholiken.«
Doch wie ist das eigentlich gekommen, dass die jungen Albaner und der 86-jährige Steinhagener eine Familie wurden? Der schreckliche Krieg auf dem Balkan hatte Islam Krasniqi 1993 aus seiner Heimat vertrieben. Der junge Bergbau-Student hatte als Reservist Furcht, eingezogen zu werden und auf seine Landleute schießen zu müssen. »Das hätte ich nicht gekonnt. Wofür? Wir haben immer in Frieden gelebt bei uns im Dorf. Moslems und Katholiken«, erzählt er. Der heute 36-Jährige fand in Steinhagen Asyl, wohnte die ersten Monate im Bahnhofshotel und war froh, dass er arbeiten durfte und dem Übergangswohnheim tagsüber entfliehen konnte. Schon damals fing er beim Kölkebecker Garten- und Landschaftsbauer Olaf Krause an, wo er noch heute beschäftigt ist.
Und dann kam zwei Jahre später endlich auch Emine, seine Frau. Für Islam war klar: Keinen Schritt darf sie ins Bahnhofshotel setzen. Auch mit dem kleinen Zimmer im Übergangswohnheim Kaistraße war er nicht einverstanden. Der junge Mann bat Irma Rosenow um Hilfe, die er über die Caritas kannte - und die ohnehin sozial engagierte Steinhagenerin nahm sich der Sache an und das junge Ehepaar für zwölf Wochen bei sich auf. Bis ihr Wilhelm Brindöpke einfiel: ein Gemeindemitglied, jüngst verwitwet und der Hilfe im Haushalt bedürftig. Die Wohnung oben stand leer. Die Krasniqis durften einziehen: »Obwohl ich ja doch erst etwas skeptisch war«, wie Wilhelm Brindöpke zugibt. Schlechte Erfahrungen hatte er mit den polnischen Vormietern gemacht. Aber das junge Paar aus dem Kosovo, es war ihm auf den ersten Blick sympathisch.
Und auch der Senior kam gut an bei seinen neuen Mietern. Emine schmiss ihm den Haushalt, Islam legte ihm einen wunderbaren Garten an und begleitete ihn zum Friedhof und zum Grab der Ehefrau. »Ich mag den Opa sehr gerne«, sagt der 36-Jährige. Aus Sympathie und Vertrauen wuchs Liebe. Die Familie wurde größer: zwei Töchter, Blerina (10) und Doruntina (7), kamen zur Welt und schließlich Nesthäkchen Adrian (3). Und der »Opa« fühlte sich herausgefordert wie ein Opa. »Die Fünf brauchen mich«: Die Fünf halten ihn am Leben, ist sich der 86-Jährige sicher: Dass sein Krebs zum Stillstand gekommen sei und sein Arzt von einem Wunder spreche, das habe er nur seinen Lieben zu verdanken.
Seit Mai diesen Jahres sind sie nämlich auch auf dem Papier eine Familie und Emine eine geborene Brindöpke. Der Steinhagener hat die junge Frau adoptiert - auf Anraten seines Notars. So lassen sich Erbschaftsdinge leichter regeln, hat der Senior ganz praktisch gedacht.
Zu ihren Eltern im Kosovo haben die beiden ein gutes Verhältnis, telefonieren regelmäßig, reisen aber nur selten auf den Balkan. Die neue Heimat liegt ihnen näher: »Wir fühlen uns hier so wohl«, sagt der junge Familienvater. Durch Kinder, Freunde und Nachbarn sind sie voll integriert und wollen die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.
Und der Großvater sähe es zu gerne, wenn zumindest seine Enkel Christen würden. Auch wenn er daraus keine Glaubensfrage machen würde - schließlich glaube man an einen Gott, und insofern spielt der Glaube in der Familie auch keine große Rolle. »Aber die Kinder sind hier geboren, wachsen in einem christlichen Land auf, gehen zur Schule und eines Tages in den Beruf«, ist dem Katholiken die »religiöse Integration« aber auch nicht unwichtig.

Artikel vom 23.12.2006